House of God
auch Towl.«
»Wer ist Towl?«
»Towl? Towl, Junge, komm her,
stat!
« brüllte Chuck. »Towl ist der verdammt beste BMS , den du je gesehen hast.«
Das war er. Eineinhalb Meter groß mit dicker, dunkler Brille und dicker schwarzer Haut, einer rauhen Stimme wie ein Hauptfeldwebel und einem Vokabular, das so kurz und rauh war wie er selbst. Die Worte, die Towl kannte, nuschelte er. Seine wichtigste Fähigkeit war Machen und nicht Reden. Er war eine Dampflok aus Georgia.
»Towl«, sagte Chuck, »das ist der Kleine. Er ist dein neuer
Intern,
fängt morgen an.«
»Rhhmmmmm rhmmmmm, hallo, Kleiner«, grunzte Towl.
»Junge«, sagte Chuck, »du mußt die Station für ihn schmeißen, genau wie du es für Potts gemacht hast. OK ? Sag ihm, was anliegt.«
»Rhhmmmmm rhmmmmm zweiundzwanzig Patienten: elf Gomers, fünf Kranke und sechs Simulanten, die hier nix zu suchen haben. Alles in allem neun auf der Achterbahn.«
»Achterbahn?«
»Richtig«, sagte Towl und machte mit der Hand Bewegungen wie mit einem Spielzeugauto, hin und her, hin und her und dann hoch und hinaus aus dem Raum.
»Er meint, aus dem
House
abschieben«, sagte ich.
»Aber, was ist mit den Kranken?« fragte der Kleine. »Ich sollte sie mir lieber gleich ansehen.«
»Rhhmmmmm rhmmmmm, nein. Mußt du nich. Kümmer mich drum. Laß nie ’n neuen
Tern
an sie ran, bevor ich weiß, daß er sich auskennt.«
»Du kannst aber keine Anweisungen schreiben«, sagte der Kleine.
»Kann ich. Kann sie nich unterschreiben. Geh nach Hause, komm morgen wieder. Muß meinen Mist auf Station erledigen, ›mit ich früh weg kann. Bis dann, Kleiner. Morgen.«
Trotz unserer Sicherheitsmaßnahmen fingen Jo und 6 -Süd an, den Kleinen kaputtzumachen. Wenn Jo mit dem Kleinen Dienst hatte, machte sie da weiter, wo Mad Dog aufgehört hatte, und gab ihm das Gefühl, er könne nie genug tun und dürfe nie etwas tun, ohne sie vorher zu fragen. Aus Angst, etwas zu riskieren, lernte der Kleine nichts.
Jos aggressive Behandlung der Gomers sorgte dafür, daß der Kleine bald die schlimmsten und traurigsten Patienten auf der Station zu versorgen hatte. Er war vollkommen durcheinander und, schlimmer noch, er glaubte, wenn es einem Patienten schlecht ging, sei das sein Fehler. Wenn Lazarus blutete, war es seine Schuld. Wenn eine vogelartige Frau mit störrischem Darm keinen Stuhlgang hatte, war es sein Fehler. Er verbrachte immer mehr Zeit damit, mit seinen Patienten zu sprechen. Zu einem alten Mann stellte er eine so enge Beziehung her, daß der alte Knabe, sobald der Kleine auftauchte, nach seiner Hand griff, sie küßte und weinte und sagte, der Kleine sei sein einziger Freund. Und wenn der Kleine gehen wollte, küßte der Alte ihm wieder die Hand und weinte und bot ihm immer und immer wieder dasselbe Geschenk an, eine gebrauchte Krawatte.
Trotz aller Bemühungen von Chuck, von mir und von Towl wurde der Kleine von Schuldgefühlen zerfressen. Dabei hatten wir mitangesehen, wie es Potts ergangen war und wollten nicht, daß sich dies wiederholte. Wir meinten, der Kleine würde mehr Selbstvertrauen bekommen, wenn er etwas mit Angel anfinge. Seine Dichterin ließ ihn auf der Wohnzimmercouch schlafen, weil sie es satt hatte, daß er zu sehr mit der Medizin beschäftigt war, um ihre Runen zu lesen. Er war aber zu schüchtern, um sich an Angel ranzumachen.
»Warum gehst du nicht mit ihr aus?« fragte ich. »Magst du sie nicht?«
»Nicht mögen? Ich bin verrückt nach ihr. Ich träume von ihr. Sie ist wunderschön. Sie ist genau die Frau, die meine Mutter mir streng verboten hätte. Solche Frauen habe ich meinen Zimmergenossen Norman auf der BMS jahrelang bumsen sehen. So ’ne Figur siehst du sonst nur im Playboy.«
»Warum gehst du dann nicht mit ihr aus?«
»Ich hab Angst, daß sie mich nicht mag und nein sagt.«
»Na und? Was hast du zu verlieren?«
»Die Möglichkeit, ich meine, wenn sie nein sagt, daß sie vielleicht ja gesagt hätte. Egal wie ich’s mache, ich möchte diese Möglichkeit nicht verlieren.«
»Also, Mann«, sagte Chuck, »du lernst nie Medizin, wenn du deinen Schwanz nich’n bißchen schneller bewegst.«
»Was, zum Teufel, hat Medizin damit zu tun?«
»Wer weiß, Mann, wer weiß?«
Aber statt mit Angel auszugehen, quälte sich der Kleine mit Schuldgefühlen auf der Station, wälzte sich unruhig auf der Wohnzimmercouch der Dichterin, ging zu den Beerdigungen seiner toten jungen Patienten und ließ sich jeden Tag von Jo ein bißchen tiefer in den Boden
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