House of God
im ganzen Haus, die den größten Erfolg bei der Verlegung hat und mit den härtesten Brocken fertig wird. Meine Station ist vorbildlich. Verdammt!« sagte Jo mit vorgeschobenem Kinn. »Ich will diese Autopsie.«
»Ach, gehen Sie zum Teufel, Jo.«
»Das werde ich dem Fisch und dem Leggo melden müssen. Ich wünsche nicht, daß meine Station durch Sentimentalität ruiniert wird. Meine Station ist schon jetzt zur Legende geworden.«
»Wissen Sie eigentlich, warum sie zur Legende geworden ist?
Sie werden es gar nicht gern hören.«
»Natürlich möchte ich es hören, obwohl ich es weiß.«
Also sagte ich es ihr. Ich begann damit, wie Chuck und ich nach unserem ersten empirischen Versuch mit Anna O. fanatische Anhänger des Nichtstuns geworden waren und Jo hinters Licht führten, indem wir mit allen nur möglichen imaginären Untersuchungen die Akten frisierten. Ich erzählte, wie wir dies in abgewandelter Form mit den sterbenden jungen Patienten machten, die zwar starben, aber ohne die Qual und die Schmerzen und die Verlängerung ihres Leidens, die ihre Behandlung mit sich gebracht hätte. Und zuletzt kam ich auf die Verlegungen zu sprechen.
»Die Verlegung funktioniert, weil der Sozialdienst mich mag und ich auf meiner Station so gute Arbeit mache«, sagte Jo eifrig.
»Jo, alle hassen Sie, und der einzige Grund, weshalb die Verlegung funktioniert, ist der, daß der Kleine und ich mit Rosalie Cohen und mit Selma ins Bett gehen. Ganz zu schweigen von den sauberen Laken.«
»Was ist mit den sauberen Laken?«
»Chuck schläft mit Hazel von der Hauswirtschaft.«
»Ich glaube Ihnen kein Wort. Niemand würde mir das antun.«
»Jeder würde es tun, wenn er es könnte. Und wir
Terns
haben nun mal das Privileg dazu.«
»Sie glauben, Sie stehen über allen«, fauchte Jo. »Sie wären besser als alle anderen und bräuchten sich nicht dazu herabzulassen, eine Obduktionserlaubnis einzuholen, Sie haben Angst vor der schmutzigen Seite der Medizin. Richtig?«
»Nein, Ma’am.«
»Sie meinen, Sie haben keine Angst vor der schmutzigen Seite der Medizin?« fragte der Leggo und musterte meine von oben bis unten mit Blut beschmierte weiße Kleidung.
»Nein, Sir, nicht daß ich wüßte.«
In seinem weißen Schlachterkittel und dem Stethoskop, das sich wie immer seinen Weg abwärts Gott weiß wohin suchte, stand er am Fenster und sah hinaus, mein
curriculum vitae
in der Hand. Er sah einsam aus. Wie Nixon ausgesehen haben muß. Ich stand vor seinem breiten Schreibtisch. Diplome drängten aus allen Richtungen auf mich ein, und ich wurde unwiderstehlich von einem Modell der Harnwege angezogen, das mit eingefärbtem Wasser gefüllt war und von einem elektrischen Motor angetrieben wurde, der in gesunder Geschwindigkeit roten Urin überallhin blubberte. In meinem Kopf gab es nur ein einzigen Gedanken, wie aus Dr. Sanders ein blutiger Sack geworden war, schmierig, aufgedunsen und tot.
»Wissen Sie«, sagte der Leggo und wedelte mit meinem Lebenslauf, »Sie stehen auf dem Papier großartig da, Roy. Als ich Ihren Namen in den Computer eintippte, um Sie in dieses
Internship
zu plazieren, war ich froh. Ich dachte, Sie könnten für die
Interns
ein Vorbild sein, und sogar für die
Residents,
und selbst einmal
Chief Resident
werden.«
»Ja, Sir, ich verstehe.«
»Sagen Sie, Sie waren nie beim Militär, oder?«
»Nein, Sir.«
»Ich wußte es, weil Sie mich Sir nennen. Sir ist eine militärische Anrede, verstehen Sie?«
»Nein.«
»Die beim Militär waren, nennen mich nie Sir.«
»Oh. Und warum nicht?«
»Ich weiß nicht, warum. Wissen Sie es?«
»Nein. Außer, daß es zu passen scheint.«
»Das ist wirklich seltsam. Man sollte meinen, es sei genau umgekehrt, oder?«
»Was heißt das?«
»Ich weiß es nicht, wissen Sie es?«
»Nein. Es ist wirklich seltsam. Sir.«
»Ja, es ist seltsam …«
Und während er aus dem Fenster sah, dachte ich über ihn nach: Wahrscheinlich hatte er sich gelobt, niemals im Leben so kalt zu sein wie sein eigener Paps. Und trotzdem war er, genau wie Jo, ein Opfer des Erfolgs geworden, hatte seinen Weg nach oben geschleckt und war so kalt geworden, daß sein Sohn vermutlich bereits in Therapie war, um seinen Widerwillen gegen seinen kalten Paps aufzuarbeiten und seine Sehnsucht, sein kalter Paps möge so warmherzig und liebevoll sein wie sein Großvater, der Paps seines Paps’. Der Leggo hatte sein Leben lang für den elektrisierenden Augenblick in der Medizin gelebt, in dem eine neue Idee den
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