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House of God

House of God

Titel: House of God Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel Shem
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verließ. Ich flehte Howard an, endlich zu gehen. Er grinste und bemerkte, wie schwer es sei, wenn jemand stirbt, den man wirklich gern hat, paffte an seiner Pfeife und blieb.
    »Hilfe!«
    So versuchte ich, Howard zu vergessen. Während Dr. Sanders’ dünnes Blut mich durchnäßte, wünschte ich nur noch, ihn auf eine schmerzlose und saubere Art töten zu können, statt so hilflos bei ihm sitzen zu müssen.
    »Helfen Sie mir, mein Gott, das ist schreck …«
    Ich versuchte, an schöne Dinge zu denken, an eine Frau in einem Boot auf dem von Weiden gesäumten Cherwell in Oxford, die ihren Finger durch die im Strom schwimmenden Blätter zieht. Aber alles, was mir durch den Kopf ging, waren die Schlagzeilen des Tages, von dem sechzehnjährigen Mädchen, das weggelaufen war, um die Welt zu sehen, und zusammengefaltet in einer beschwerten Reisekiste an einem Strand in Florida wiedergefunden worden war. Von dem mißhandelten Kind, das in fötaler Haltung zusammengerollt in einem Kinderwagen in einen Gerichtssaal gefahren wurde, das nur noch ein dahinvegetierendes kleines Wesen war, das »sich niemals erholen wird«. Der Arzt hatte ausgesagt, als er das Kind zum ersten Mal sah, hätte er gar nicht erkennen können, was es war: Eine wenige Tage alte Masse vergammelnden Fleisches. Auf dem Rücken des Kindes waren die Buchstaben I-C-R-Y – ich schreie – ins Fleisch gebrannt und verschorft.
    Als ich wieder in meinen Schoß hinuntersah, war Dr. Sanders tot. Ein großer Teil der achtzig Prozent Blut und Wasser, die er gewesen war, war über mich ausgelaufen. Ich hielt seinen Kopf in meinem Schoß, bis sein krankes Killerblut aus seinem Herzen und seinem Hirn in seine Eingeweide, seine Haut und alle die Stellen geflossen war, wo es nie hätte hinfließen sollen, und, weil es nicht gerinnen wollte, aus allen Öffnungen seines Körpers herauskam, zum Schluß aus dem sich entspannenden Anus. Ich hielt seinen kahlen Schädel in meinem Schoß und in meinen Armen, bis es aufhörte zu fließen. Dann legte ich ihn auf sein Kissen zurück, zog sanft das Laken über ihn und weinte. Er war der erste Patient, den ich gern gehabt hatte und der starb.
    Ich ging zur Stationszentrale. Die Art, wie ich meine Füße setzte, einen vor den anderen, erinnerte mich an eine schizophrene Frau, die ich einmal gesehen hatte, ein ehemaliges Revue-Girl. Sie lebte in einem Heim und stapfte jeden Tag, ob Regen oder Sonnenschein, mit entschlossenem und präzisem Schritt auf einer schnurgeraden Linie, die jeden Geometer mit Freude erfüllt hätte, über die Wiese. Plomp Plomp Plomp, nirgendwohin, innerlich leer.
    »Dr. Sanders ist tot«, sagte ich und setzte mich.
    »Oh, das tut mir leid. Haben Sie die Obduktionserlaubnis?« fragte Jo.
    »Was?«
    »Ich habe gefragt, ob Sie die Obduktionserlaubnis haben?«
    Ich stellte mir vor, wie ich dieses kleine Wunder an Gelehrsamkeit bei den schmalen Schultern packte und schüttelte, bis das Hirn an der Schädeldecke zerspritzte und sie kollabierte, wie ich ihr mein Knie in den Leib stieß, bis die Ovarien zerquetscht waren, um nie wieder ein Ei hervorzubringen und wie ich sie dann aus dem Fenster im sechsten Stock warf, so daß sie zerschmettert und von einer lärmenden, kraftvollen Straßenreinigungsmaschine aufgesaugt wurde, nur noch eine Plastiktüte voller Matsch, die von Hyper Hoopers israelischer Pathologin im Leichenschauhaus übernommen und sortiert wurde. Aber Jo war schließlich zu bemitleiden. Darum biß ich mir auf die Zunge und sagte nur: »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Ich wollte es nicht.«
    »Das ist kein Argument«, sagte Jo.
    »Ich wollte nicht, daß sein Körper im Leichenschauhaus in Stücke geschnitten wird.«
    »Ich verstehe nicht, was Sie sagen.«
    »Ich habe ihn zu gern gehabt, um ihn da unten zerlegen zu lassen.«
    »Solche Reden sind in der modernen Medizin fehl am Platz.«
    »Dann hören Sie nicht hin«, sagte ich, am Ende meiner Selbstbeherrschung.
    »Die Autopsie ist wichtig«, sagte Jo. »Sie ist die Blume der ärztlichen Wissenschaft. Ich werde seine nächsten Verwandten selbst anrufen.«
    »Unterstehen Sie sich!« brüllte ich. »Ich bringe Sie um, wenn Sie das tun!«
    »Was glauben Sie, wie wir denen, die uns anvertraut werden, eine so präzise ärztliche Betreuung zukommen lassen können?« fragte Jo.
    »Das ist Quatsch. Wir lassen niemandem ärztliche Betreuung zukommen«, sagte ich.
    »Sind Sie verrückt geworden? Diese Station, meine Station, gilt als die effizienteste Station

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