House of Night 7. Verbrannt
über Aphrodites zerzauste Frisur, ihr tränenfleckiges Gesicht und ihre rotgeweinten Augen. »Der Rat wird dich hereinbitten. Wahrscheinlich. Bis dahin musst du warten.«
»Ich. bin. nicht. hysterisch.« Langsam und deutlich, mit erzwungener Ruhe sprach Aphrodite die Worte aus, in der Absicht, zumindest einen der Gründe außer Kraft zu setzen, warum Erce sie aufgehalten hatte, während Stark, gefolgt von Darius, Damien, den Zwillingen und sogar Jack, Zoeys leblosen Körper nach drinnen getragen hatte – weil sie nämlich wirklich hysterisch gewesen war, und zwar hochgradig. Sie hatte nicht mit den anderen Schritt halten können, weil sie so in Tränen aufgelöst gewesen war, dass sie vor Rotz und Wasser kaum noch hatte atmen oder sehen können. Als sie sich endlich wieder unter Kontrolle hatte, war die Tür schon verschlossen gewesen, und Erce hatte sich wie ein räudiger Wachhund davor postiert.
Aber wenn Erce glaubte, Aphrodite könnte sich nicht gegen überhebliche, herrschsüchtige Erwachsene behaupten, dann irrte sie gewaltig. Verglichen mit der Frau, die Aphrodite aufgezogen hatte, war Erce Mary Poppins.
»Sie halten mich also für ein kleines Menschenmädchen, ja?« Aphrodite baute sich so nahe vor Erce auf, dass diese automatisch einen Schritt zurückwich. »Denken Sie mal nach. Ich bin eine Prophetin der Nyx. Nyx – die kennen Sie doch noch, oder? Ihre Göttin,
Ihr Oberboss sozusagen
? Ich habe es
nicht
nötig, mich von irgendwem runterkühlen zu lassen, um vor den Hohen Rat treten zu können. Dieses Recht hat mir Nyx selbst gewährt. Und jetzt gehen Sie mir verdammt nochmal aus dem Weg.«
»Auch wenn sie es höflicher hätte formulieren können, hat das Argument des Mädchens etwas für sich, Erce. Lass sie durch. Ich werde die Verantwortung für ihre Anwesenheit übernehmen, falls es dem Rat missfällt.«
Aphrodite spürte, wie sich die feinen Härchen auf ihren Unterarmen aufstellten, als hinter ihr Neferets seidige Stimme ertönte.
»Das ist nicht üblich«, sagte Erce, aber man hörte ihrem Ton schon die Kapitulation an.
»Es ist auch nicht üblich, dass die Seele einer Jungvampyrin zerbirst«, hielt Neferet ihr entgegen.
»Da muss ich Euch zustimmen, Priesterin.« Erce trat beiseite und öffnete die dicke Steintür. »Nun denn, die Anwesenheit dieses Menschen im Ratssaal obliegt Eurer Verantwortung.«
»Danke, Erce. Sehr großzügig von dir. Oh, ich habe einige Krieger des Rates beauftragt, etwas herzubringen. Lass sie bitte auch durch, ja?«
Aphrodite würdigte Erce keines Blickes mehr, die vorhersehbarerweise so etwas wie »Gewiss doch, Priesterin« murmelte. Entschlossen betrat sie das altertümliche Bauwerk.
»Ist es nicht seltsam, dass wir so plötzlich wieder Verbündete sind, Kind?«, ertönte Neferets Stimme dicht hinter ihr.
Aphrodite sah weder zurück, noch verlangsamte sie. »Ich bin kein Kind, und wir werden nie Verbündete sein.« Die Eingangshalle mündete in ein großes steinernes Amphitheater, das sich in vielen Halbkreisen vor ihr erstreckte. Sofort wurde Aphrodites Blick wie magisch von dem Buntglasfenster gegenüber angezogen, das Nyx zeigte, die schlanken Arme erhoben, in den Händen eine Mondsichel, umrahmt von einem leuchtenden Pentagramm.
»Sehr hübsch, nicht wahr?«, sagte Neferet in lockerem Plauderton. »Schon immer haben die Vampyre die größten Kunstwerke der Welt erschaffen.«
Aphrodite weigerte sich immer noch, die Ex-Hohepriesterin anzusehen. Sie zuckte mit den Schultern. »Vampyre haben Geld, und für Geld kann man hübsche Sachen kaufen, egal wer sie gemacht hat. Sie wissen auch gar nicht genau, ob dieses Fenster von Vampyren gemacht wurde. Ich meine, okay, Sie sind alt, aber
so
alt nun doch wieder nicht.« Während Aphrodite Neferets weiches, herablassendes Gelächter geflissentlich ignorierte, ließ sie den Blick in die Mitte des Halbrunds schweifen. Zuerst verstand sie nicht so recht, was sie da sah, aber dann war es, als bekäme sie einen Schlag in den Magen.
Auf der großen erhöhten Plattform, die das Zentrum des Saales bildete, standen sieben kunstvoll behauene Throne aus Marmor, auf denen Vampyrinnen saßen. Aber nicht sie waren es, die Aphrodites Blick auf sich zogen. Wovon ihre Augen sich nicht lösen konnten, war Zoey, die auf dem Podest vor den Thronen lag wie ein Leichnam auf einer Bahre. Und dann war da Stark. Er kniete neben Zoey, auf eine Weise, dass Aphrodite gerade noch sein Gesicht sehen konnte. Er gab nicht das kleinste
Weitere Kostenlose Bücher