Huckleberry Finns Abenteuer und Fahrten (German Edition)
übrigen.
Ihre Freude aber, so groß sie auch sein mochte, war nichts gegen die meine. Ich fühlte mich wie neugeboren, wußte ich doch endlich, wer ich eigentlich war! Und daß ich mich als solch' guter alter Bekannter entpuppte, das, nein das – ich kann gar nicht sagen, wie mir zumute war! Eine ganze Stunde lang bestürmten mich nun die beiden mit ihren Fragen, und meine Redewerkzeuge waren endlich so müde, daß sie beinahe den Dienst versagten. Ich hatte den beiden aber auch mehr über meine Familie, das heißt die Familie Sawyer, erzählt, als sechs Familien in sechsmal sechs Jahren erleben können. Dann sprach ich von meiner Reise, dem Boot, der geplatzten Zylinderröhre, und sie hingen an meinem Munde und verschlangen sozusagen jedes Wort.
Ich fühlte mich nun so wohl und munter wie ein Fisch im Wasser und plätscherte und schwamm im Strom meiner Beredsamkeit lustig weiter. Es gab nichts Lustigeres und Behaglicheres, als Tom Sawyer vorstellen zu dürfen, und ich hatte mich bereits bestens in die Rolle eingelebt, als ich mit einemmal das Keuchen eines Dampfboots aus der Ferne hörte. Da erst kam mir der Gedanke: Wenn nun Tom, der wirkliche Tom, mit dem Boot angekommen ist, auf einmal zur Tür hereintritt und meinen Namen ruft, noch ehe ich ihm einen Wink geben kann, und dadurch alles verraten und verloren ist? Die Angst trieb mir den Schweiß auf die Stirn. Nein, das durfte nicht sein, das mußte ich verhindern um jeden Preis! Ich mußte ihm entgegeneilen, um ihn von meiner Lage zu unterrichten. So sagte ich denn, ich wolle zurück und nach meinen Sachen sehen, sonst könnten sie mir am Ende doch noch abhanden kommen. Der alte Mann wollte mich durchaus begleiten, ich aber dankte und sagte, ich könne gut allein, er dürfe mir das Pferd ruhig anvertrauen, ich freue mich darauf, allein zu fahren, und er möge sich, um alles in der Welt, meinetwegen nicht noch einmal in der Hitze so weit bemühen. Das sah er endlich ein und ließ mich gewähren.
24. Kapitel
Ein Nigger-Dieb – Südliche Gastfreundschaft – »Er unverschämter junger Flegel!« – Ein dauerhaftes Gebet
Ich also auf und mit dem Wagen der Stadt zugerast. Wie ich halbwegs dort bin, sehe ich ein andres Gefährt von der Stadt her auf mich zukommen, und wer sitzt drin, Tom Sawyer, der alte Tom, wie er leibt und lebt, und da halt' ich meinen Wagen an und warte, bis er dicht bei mir ist. Dann schrei ich: »Halt!«, und er hält, und wie er mich sieht, klappt sein Mund auf wie ein Scheunentor, bleibt auch so stehen, und er schluckt zwei- oder dreimal, als habe er einen ziemlich trockenen Hals gekriegt, und beginnt dann zu flehen: »Ich hab' dir ja nie was zuleid getan, Huck Finn, und das weißt du auch. Und ich war immer dein guter Kamerad, all mein Lebtag, und du, du kommst und spukst hier oben 'rum ohne alle Ursache und willst mir Angst mach eh – mir, deinem alten Tom?«
Sag' ich: »Alter Narr! Wie kann ich spuken, wenn ich doch nie weggewesen bin vom Sonnenlicht?«
Meine Stimme schien ihn etwas zu beruhigen, aber ganz beruhigt war er noch nicht.
»Mach mir keinen Unsinn vor, Huck, gewiß und wahrhaftig, ich tät's auch nicht an deiner Stelle. Also, Hand aufs Herz, du bist wirklich nicht dein Geist?«
»Hand aufs Herz, der bin ich nicht!«
»Na, ich – ich – ich sollte dir jetzt freilich glauben, aber siehst du, ich – ich kann's nicht begreifen. Bist du denn damals überhaupt gar nicht ermordet worden?«
»Nee, das ist mir, Gott sei Dank, noch nie passiert! Tom, Dummerjan, merkst du's denn nicht? Ich hab' ja nur so getan, um den Alten und alle loszuwerden. Na, glaubst du's noch nicht? Steig mal 'rüber zu mir und visitier mich, da wirst du schon fühlen, daß ich Fleisch und Knochen habe!«
Das tat er dann und gab sich danach zufrieden. Er schien furchtbar froh zu sein, daß er mich wiedersah, und wußte gar nicht, wie er es mir genug zeigen könnte. Dann wollte er genau den ganzen Hergang wissen. Es war ein geheimnisvolles Abenteuer, so recht nach seinem Geschmack. Ich aber vertröstete ihn auf später, nahm ihn erst einige Schritte weit beiseite, daß uns sein Kutscher nicht hören konnte, erzählte ihm von der Klemme, in der ich mich befand, und bat ihn, sich zu überlegen, wie wir uns heraushelfen könnten. Er sagte, ich solle mal ein bißchen still sein und ihn nachdenken lassen; er dachte und dachte und dann meinte er: »Jetzt hab' ich's! Ich hab's! So muß es gehen! Du nimmst meinen Koffer auf deinen Wagen und sagst, es sei
Weitere Kostenlose Bücher