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Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Titel: Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: GABAL Verlag
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keine Freizeit habe. Genauso wie sie auf mich neidisch sind, weil ich in einem schönen Auto sitze. Beide Seiten sehen nur das Schöne.
    Merkwürdig, oder?
    Auch wenn es um uns selbst geht, sind wir Meister im Schönreden. Es widerspricht zwar der gängigen Erfahrung, aber unser Blick ist immer nur auf die schönen Seiten im Leben gerichtet. Es wird viel gejammert, das stimmt. Aber trotzdem ist es so: Was uns nicht in den Kram passt, blenden wir aus. Stoßen wir auf etwas Unschönes, kommt sofort ein ganzes Bündel an Vermeidungs- und Verdrängungsstrategien zum Tragen.
    Schon in der Schule war es so: Um die Fächer, in denen du am schlechtesten warst, hast du dich am wenigsten gekümmert. Es hat einfach keinen Spaß gemacht. Das war nicht attraktiv. An deine Eins in Englisch hast du dauernd gedacht. Darauf warst du stolz und du hast jedem davon erzählt, ob der das hören wollte oder nicht. Aber niemandem hast du auf die Nase gebunden, dass du in Latein kein Bein auf den Boden bekommst. Du hast dir gesagt: »Was soll’s! Eine schlechte Note kann ruhig auf dem Zeugnis mit dabei sein. Niemand muss alles können.« Die Strategie: eine Mischung aus Ausblenden und Sich-Zufriedengeben.
    Eine weitere Strategie, sich sein Leben schön zu machen: Vertagen. Warum gibt es so wenige Organspender? Es ist einfach unangenehm, darüber nachzudenken. Jede Umfrage ergibt, dass etwa die Hälfte bis zwei Drittel der Deutschen keine Bedenken haben, nach ihrem Tod Organe zu spenden. Warum haben dann nur 17 Prozent einen Spender-Ausweis in der Tasche? »Ach, ich kümmere mich morgen darum.«
    Eine Kröte wird nicht schöner, wenn du ein besticktes Kissen drauflegst.
    Du kannst Negatives natürlich auch leugnen. So tun, als ob nichts wäre. Wenn einer 25 Kilo Übergewicht hat, kann es passieren, dass er dir allen Ernstes sagt: »Wieso? Ich bin doch nur ein bisschen stämmig.« Oder die Eltern, die über ihr Kind, das sie schon ein paar Mal vom Revier abholen mussten, weil es beim Klauen erwischt worden war, sagen: »Ach, das gibt sich schon wieder. Da ist doch gar nichts dabei!«
    Das Problem ist nur: Eine Kröte wird nicht schöner, wenn du ein besticktes Kissen drauflegst.
    All dies Vermeiden, Verleugnen, Aufschieben führt zu einer »Alles ist gut«-Einstellung. Mit ihr führst du ein sanftes Leben. Mit einem »Mir wird schon nichts passieren« verbringst du deine Tage auf sehr bequeme Weise. Vielleicht magst du das ja genau so haben.
    So zu leben kann lange Zeit gut gehen. Aber wenn dir dann wirklich einmal der eine oder andere GAU ins Haus steht – und glaub mir, der wird kommen –, dann haut es dir den Boden unter den Füßen weg.
Muskelschwund
    Gunter Gabriel hat überall gesungen: vor ausverkauftem Haus und vor dem Baumarkt. Im Fernsehen zur besten Sendezeit und im Kaufhaus neben der Dessous-Abteilung. Es gab eine Zeit, da war Gunter Gabriel erledigt. Fertig. Damals sang er für ein bisschen Bares auch in den Wohnzimmern seiner letzten Fans.
    In den Siebzigern war er noch ziemlich weit oben gewesen. Mit Hits wie »Hey Boss, ich brauch mehr Geld« bediente er ein Publikum, für das Trucker der Inbegriff der Männlichkeit waren. Er hatte jede Menge Bewunderer und er verdiente viel Geld.
    Das Geld war noch schneller weg als die Fans. In den Achtzigern hörte er auf die falschen Freunde und investierte in eines der damals beliebten Steuerspar-Bauherrenmodelle. Er verlor alles. Aus 10 Millionen Mark war ein Berg Schulden geworden.
    Seine damalige Frau gab ihm fünf Mark Taschengeld pro Tag. Das war demütigend. Irgendwann hatte sie keine Lust mehr, ihn mit durchzuziehen, und sagte zu ihm: »Geh ans Fließband. Deine Karriere ist zu Ende, kapier das endlich!« Gabriel soff mehr als je zuvor. Prügelte. Lebte zehn Jahre in einem Wohnwagen. Eine Prostituierte nahm sich seiner an, managte ihn, sodass er wieder bessere Verträge bekam. Stück für Stück hat er sich aus dem Dreck herausgearbeitet. Alles war für ihn besser als Hartz IV. Er hat durchgehalten.
    Das ist wahr: All die Trucker-Lieder sind nicht von einem Bürschchen gesungen worden, das beim ersten Wind, der ihm ins Gesicht bläst, einknickt und nach seiner Mama ruft. Gunter Gabriel hat gezeigt, dass er etwas ertragen kann. Dass er nicht nur austeilen, sondern auch einstecken kann. Und auch wieder aufstehen.
    Resilienz nennt man so etwas neuerdings. Gemeint ist die Fähigkeit, weiterzumachen. Das Tolle daran: Wenn du einmal ganz unten warst und es geschafft hast, dich wieder

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