Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen
lieber Nebenschauplätze auf und überlegt sich tausend Gründe, warum es doch besser ist, so weiterzumachen wie zuvor.
Was macht jemand als Erstes, der merkt, dass er sich auf dem Holzweg befindet? Er hadert: »Warum ich? Warum muss mir das passieren?« Er klagt das Schicksal an und alles, was daran beteiligt war, ihn in die missliche Situation zu bringen: »Das ist nur geschehen, weil meine Freundin … Hätten meine Eltern … Wenn mein Mann damals … Warum hat mich denn niemand …« Doch andere mit reinzuziehen ist schwach.
Du
bist in der Situation, die eine Entscheidung erfordert. Und
du
allein bist es, der sie treffen muss.
Trotzdem: Wer vor einer tiefgreifenden Entscheidung steht, stellt sich lieber tot, als sie zu treffen. »Das ist eine verdammt schwere Entscheidung«, sagst du. »Ich muss mir das durch den Kopf gehen lassen, eine Nacht darüber schlafen …« Aber aus einer Nacht werden zwei; aus zwei werden drei … bis du endlich vergessen hast, dass du überhaupt etwas ändern wolltest.
Das ist doch vollkommen verrückt! Es kann doch niemand ernsthaft behaupten, mit der Devise »Ich treffe keine Entscheidungen – mal sehen, wohin mich der Wind so treibt« ein erfülltes Leben führen zu können.
Auch mir selbst war meine Lage damals eigentlich sonnenklar: Ich hatte einen Fehler gemacht. Das war nicht nur Müdigkeit, das war auch kein vorübergehendes Motivationsloch. Mir war schlagartig etwas bewusst geworden, und zwar mit der Wucht von zwei Haken der Klitschko-Brüder: Ich hatte mich in den zurückliegenden Jahren nur noch in mein Ziel verbissen – whack!, das war Vitalis Linke – und gar nicht mehr gemerkt, dass mir der Sinn abhandengekommen war – bang!, das war Wladimirs Rechte. Über den Strapazen der Pilotenausbildung hatte ich alles andere ausgeblendet. Mit hohem Einsatz hatte ich einen Gotthard-Tunnel durch die Alpen gesprengt und nun, wo ich auf der anderen Seite wieder ans Tageslicht gekommen war, schaute ich mich um und erkannte, dass ich zwar genau dort angelangt war, wohin es mich die ganze Zeit getrieben hatte. Dass ich an diesem Ort aber gar nicht sein wollte.
Lieber jahrelang abstottern, als jahrelang das Falsche tun.
Ich musste nur noch die entsprechende Entscheidung treffen. Mein Leben neu ausrichten. Gleich dort im Hotel, auf der Bettkante sitzend, um keine Minute mehr als unbedingt notwendig in einem Projekt zu verschwenden, das nichts mehr mit meinem Lebensziel zu tun hatte. Das Geld sausen lassen. Lieber jahrelang abstottern, als jahrelang das Falsche tun – dazu ist das Leben einfach zu kurz, als dass ich mir das leisten könnte. Sagte mein Bauch. Mein Kopf wehrte sich. »Bist du verrückt?«, schrie er. »Das kannst du doch nicht machen! Zieh das gefälligst durch!« Ich war wie gelähmt.
Was hielt mich davon ab, zu reagieren? Auch wenn manche Leute es schaffen, sich darüber hinwegzusetzen – es gibt da eine Eigenschaft, die in uns allen tief verwurzelt ist: Wir fürchten Veränderungen. Wir fürchten uns, von einem einmal eingeschlagenen Weg abzukommen, und wenn er noch so steinig ist oder uns in die Irre führt.
In Adiletten auf der Autobahn
Ein belgischer Rentner wollte mit seinem Auto Brötchen holen. Er bog falsch ab und landete auf der Autobahn. Statt anzuhalten, sich in Ruhe zu orientieren, fuhr er einfach immer weiter. Erst der leere Tank seines Autos stoppte ihn. Das war in Deutschland, auf der A3 bei Waldaschaff, 400 Kilometer von seinem Heimatort entfernt. Die Polizei wurde auf ihn aufmerksam, weil er sein Auto auf dem Standstreifen abgestellt hatte und zu Fuß weiterlief – in Badeschlappen.
Solche Geschichten kann man immer wieder in der Zeitung lesen. Zugegeben: Es sind eher verwirrte Senioren, denen das passiert und die dann von ihren erschrockenen Familienangehörigen wieder abgeholt werden müssen. Ich denke aber, dass gerade im Alter das zutage tritt, was zuvor nur mit einer hauchdünnen Schicht Rationalität überdeckt ist: das Bestreben jedes Menschen, den einmal eingeschlagenen Weg auch weiterzugehen. Ohne nach links und rechts zu schauen. So läuft man erst gar nicht Gefahr, sich eingestehen zu müssen, in der falschen Richtung unterwegs zu sein. Und kann sich der Illusion hingeben, alles sei bestens. Selbst wenn der Weg noch so weit vom eigentlichen Ziel wegführt – Hauptsache, es bleibt so, wie es ist.
Diszipliniert an seinen Zielen festzuhalten und sich nicht gleich beim ersten Fehlschlag davon abbringen zu lassen, hat ja durchaus
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