Hüftkreisen mit Nancy
Wedemeyer hauchte einen leisen Laut der Verzückung. Wenn Worte berühren können, dann hatte ich sie gerade an einer sehr speziellen Stelle berührt.Auch Frau Hildegard Keding und Frau Lieselotte Dittrich bestätigten nickend, dass ich zu einer Erkenntnis gekommen wäre.
«Ich musste, wie soll ich es sagen, den langen Weg der Geringschätzung von Frauen bis an die Quelle zurückgehen. Traditionelle Denkschablonen ablegen, dominante und verletzende Sprachmuster und Sprechweisen hinterfragen und – nicht zuletzt – eigene Unzulänglichkeiten akzeptieren lernen. Das war nicht immer leicht.» Freundlich sah ich die drei Damen an. Es war ein schöner Tag heute. Sie sollten alle etwas davon haben. Siegrun Wedemeyer rutschte auf ihrem Sitz hin und her. Ein Jahrzehnt als intersexuelle Spaßbremse hatte sie süchtig gemacht nach einem einzigen Beweis für den Erfolg ihrer Schulungsziele. Und hier war er! In all dem hölzernen Frust der Abgemahnten, unter kaum verhohlener Unlust der Zeugen, unter Minimalkooperation der Vorgesetzten hatte sie durchgehalten, um die Belästiger zu belästigen, und dies war ihr Erntetag! «Also, ich arbeite ja schon eine Weile mit dieser Problematik, Herr Krenke», professionalisierte sie munter los, «und ich muss sagen, ich hatte gleich, als Sie auf uns zukamen, ein ausgesprochen gutes Gefühl. Es freut mich wirklich, dass unser Gespräch von damals bei Ihnen was ausgelöst hat. Sie haben jetzt so eine achtsame und gleichzeitig zurückhaltende Art.»
Ich schaute bescheiden nach unten und hob abwehrend die Hand.
«Nein, wirklich. Die Veränderung ist für mich jedenfalls deutlich sichtbar. Hildegard, du hast doch mal bei der Bundeswehr im Kosovo eine Männergruppe mit Misogynie-Gefährdeten betreut. Sag du doch auch mal was.» Frau HildegardKeding, bleich und tagescremeglänzend, schwarzer Pony, schwarzer Rollkragenpullover, der ihren trotz intensiver Pflege faltig gewordenen Hals bedecken sollte, musterte mich intensiv, als beherrsche sie tatsächlich die Kunst der Charakterfeststellung per Irisdiagnose. Ich ertrug ihren Blick in völliger Unschuld und wandte mich dann wieder Siegrun Wedemeyer zu. Und dann tat ich es. Ich stellte mir vor, wie ich Siegrun Wedemeyers Wollponcho löste. Es war ein Gedankenexperiment. Ich konnte es mir nicht verkneifen. Denn wenn Frau Hildegard Keding den Feind im Manne erkennen konnte, dann musste sie jetzt zumindest irritiert sein. Ich löste also langsam in Gedanken den großen Hirschhornknopf an der linken Schulter von Siegrun Wedemeyers Wollponcho, und plumps – stand sie im Mieder vor mir. Obwohl es nur in meiner Vorstellung stattfand, war ich dann doch überwältigt. Was für ein gewaltiger Unterleib! Man musste den Kopf schwenken, um ihn einmal zu überblicken. Die Miederhose war entsprechend groß und weiß, und die kleinen Chinesinnen, die sie gefertigt hatten, hatten sich weit über den Nähtisch lehnen müssen, um sie nach der Naht wieder zurückzuholen.
«Also, auf mich macht er insgesamt einen fast schon überdurchschnittlich wertschätzenden und respektierenden Eindruck», urteilte Hildegard Keding sich um Kopf und Kragen. «Das ist wirklich beeindruckend. Was für eine Therapie haben Sie denn gemacht? Das würde mich wirklich brennend interessieren.»
Obwohl sie nahelag, war ich auf diese Frage nicht vorbereitet. «Ich habe ein … geführtes …
Neuroburleskes
…
Estimationstraining
absolviert.» ‹Das hauen sie mir gleich um die Ohren›, dachte ich. ‹Das war zu fett.› Aber da mein Gesichtseine wertschätzende Miene nicht verloren hatte, blieben meine albernen Vokabeln in Ernst gehüllt.
«Neuroburleskes Estimationstraining»
, schmeckte Siegrun Wedemeyer den Wortsalat durch. «Habe ich jetzt nicht sofort parat. Habt ihr schon mal was von gehört?»
Frau Hildegard Keding, deren Selbstwertgefühl durch die Ansprache als Spezialistin etwas hochgekocht war, richtete sich auf. Unmöglich, jetzt mit einer Wissenslücke wieder zurück ins Glied zu müssen. «Mmh. Doch, doch. Kenne ich. Wird hier im Osten aber wenig gemacht. Gibt kaum Leute, die das machen. Und wohl auch wenig Klientel. Ist das nicht auch sehr teuer?»
Ich bestätigte ihr dies ohne Umschweife. Nancys Hüftschwenken war nicht billig zu haben. Siegrun Wedemeyer wollte wissen, was da im Einzelnen gemacht werde. Ich erläuterte, dass es sich um einen Mix aus Bewegungsschule mit Schwerpunkt Becken, Gesprächstherapie und Akzeptanz-Tanz handele. Ich war in Fahrt.
«Ja,
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