Hüftkreisen mit Nancy
wenig los. Nur hinten am großen Schaufenster zur Straße hin saßen drei Menschen. Ein Mensch trug einen an die Stirn geklatschten, scharf gefrästen Pony und einen schwarzen Rollkragenpullover. Einer hatte dickes graues, gewelltes Haar, das hinterm Nacken mit einem Lederband zusammengehalten war, und trug eine so woodstockmäßig geblümte Bauernbluse, dass man automatisch nach der Klampfe an der Seite suchte, aus der sicher gleich «Ruby Tuesday» ertönen würde. Der dritte Mensch hockte unter einer Schüttelfrisur in einem naturmodischen Wollponcho, eine Kombination, die es in dieser «Mein Körper und ich sehen uns nur am Wochenende»-Form, nur einmal gab. Es war Siegrun Wedemeyer, die Gleichstellungsbeauftragte meines Landfunks. Wenn die Cafeteria voll gewesen wäre, hätte ich sie ignoriert und mich woanders hingesetzt. Aber so war jede Sitzplatzentscheidung ein Bekenntnis. Unvorstellbar, sich an einen zehn Meter entfernten Tisch zu setzen, um dann entdeckt und betuschelt zu werden. Außerdem war ich unzerstörbar froh gestimmt. Siegrun Wedemeyer war keineswegs die besserwisserische graue Eule, die gerne Männer in Männchen verwandelte. Nein, im Gegenteil: Sie war geradezu ein katalytisches Element, das mein Lebenzum Schäumen gebracht hatte. Ohne sie wäre ich Nancy nie begegnet. Ich fühlte mich stark genug, sie begrüßen.
«Frau Wedemeyer!», stellte ich mein Tablett auf ihren Tisch und holte mir ihre leicht widerstrebende Hand, als wolle ich sie mir ans pochende Herz legen, «Das ist ja eine Überraschung, Sie hier zu treffen!»
Siegrun Wedemeyer beäugte mich argwöhnisch. War der flamingofarbige Mann hier tatsächlich ihr seinerzeit doch ziemlich problematischer Kollege? Dann entschied sie sich, erst mal die Formalien abzuarbeiten. Sie bot mir einen Stuhl an und sagte: «Das ist Herr Krenke, freier Mitarbeiter in einer Redaktion unseres Hauses. Und das sind meine Kolleginnen von der
Länderübergreifenden Arbeitsgruppe
, Frau Hildegard Keding und Frau Lieselotte Dittrich.» Es war gut, dass sie das «Frau» dazusagte. Aber ich gab brav die Hand und nickte freundlich. «Meine Damen.»
«Herr Krenke und ich hatten vor einigen Wochen miteinander zu tun. Die Sache mit dem Klimaschutz. Ihr erinnert euch vielleicht.»
Die beiden Damen zeigten sich wohl informiert. Ich hingegen verfiel ins Grübeln. «Klimaschutz? Ich dachte …»
Siegrun Wedemeyer lachte das matte Lachen älterer, allem und jedem weit überlegener Frauen. «
Innerbetrieblicher Klimaschutz
, Herr Krenke. Das ist der inoffizielle Name des Projektes unserer Arbeitsgruppe. Im Kern geht es darum, durch rechtzeitige arbeitsrechtliche Warnschüsse an entsprechend disponierte Kollegen ein Frauen respektierendes Klima zu schaffen, in dem Frauen als Subjekte wahrgenommen werden und nicht als Objekte irgendwelcher privaten Vorstellungen.»
«Ach so, ja», lachte ich matt zurück, «das meinen Sie.»
«Jaja, der Herr Krenke war auch so einer. Und ich glaube, er hat sich erst mal ganz schön umgeguckt, als wir ihn am Schlafittchen hatten.» Frau Hildegard Keding und Frau Lieselotte Dittrich sahen mich noch einmal prüfend an. Ich lächelte verlegen und zog schuldbewusst meine Schultern zu den Ohren. Ich Schlingel!
«Siegrun hat erwähnt, dass es bei Ihnen so arg war, dass Ihr Chef zur letzten Konsequenz greifen musste», richtete Frau Hildegard Keding das Wort an mich. Ich presste die Lippen aufeinander und nickte betroffen. «Ja, das stimmt leider», erwiderte ich ernst. «Ich musste eine Auszeit nehmen und mir eine Therapie suchen.»
Siegrun Wedemeyers Wohlbehagen, ein für alle Mal und sowieso schon immer recht gehabt zu haben, dampfte aus ihrem Wollponcho. Sie sah aus, als würde sie gleich anfangen zu schnurren. Aber das ließ sich noch steigern. Das hatte noch Potential.
«Und hat Ihnen die Therapie geholfen?», erkundigte sich interessiert Frau Lieselotte Dittrich, die in ihrer Tasche nach einem Stift kramte, um sich bei Bedarf Notizen zu machen. Die Tasche raschelte geräuschvoll. Es war mir immer ein Rätsel, wie Damen im Krimi plötzlich und mit einem einzigen Griff eine Pistole aus ihrer Tasche ziehen. Das ist so lebensfremd. «Ja, mir hat die Therapie sehr geholfen», verkündete ich mit einem Blick in die Runde, denn ältere Frauen mögen klare Aussagen und klare Blicke. «Ich habe gelernt, dass Männer oft wie Kathedralen sind. Von außen sehen sie gewaltig aus, aber drinnen ist eine große Leere.»
Was für ein Bild! Siegrun
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