Hühnerbus und Stoppelhopser (German Edition)
hatte das untrügliche Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, und das verstärkte sich noch, als er im ersten Stock links nach einem hilfreichen Wesen suchte, möglichst nach einem jüngeren, das ihn bei der Auswahl beraten konnte. Er fand keins, entdeckte aber die an einer Wand aufgehängte Hitliste, las die Titel, kannte keinen, entschied sich für Nummer vier und Nummer fünf, weil er annahm, daß eins bis drei bestimmt schon in Tobias’ Sammlung enthalten waren, und kaufte für Frau Antonie »Die schönsten Opernchöre der Welt«, die waren im Preis herabgesetzt, und für seinen Schwiegervater etwas von Vivaldi, auch im Sonderangebot. Nur für Tinchen fand er nichts. Die schwärmte für Frank Sinatra, das hatte sie vor zwanzig Jahren aber auch schon getan, und mittlerweile gab es keinen Song von Frankieboy, der nicht in wenigstens zwei verschiedenen Interpretationen in ihrem Plattenschrank stand. »Strangers in the night« hatte sie sogar viermal.
Florian dachte nach. Diesen Vorgang unterstützte er in der Erfrischungsabteilung vom Kaufhof mit einem Whisky on the rocks. Nach dem zweiten hatte er endlich eine Erleuchtung, ausgelöst durch die Eiswürfel in seinem Glas: Er würde seiner Frau einen Bikini schenken.
Die Rolltreppe baggerte ihn einen Stock tiefer in die Sportabteilung. Leider war die Auswahl der Jahreszeit angepaßt und sehr gering. In der Hauptsache bestand sie aus lila und schwarzen formlosen Lappen, obenherum mit Draht verstärkt. So was hatte doch sein Tinchen nicht nötig!
»Haben Sie denn nicht etwas Schickeres?« fragte er enttäuscht.
»Das sind alles Modelle«, beteuerte die Verkäuferin, die mühelos einen dieser Brustpanzer ausgefüllt hätte. »Wenn Sie hier nichts finden, müssen Sie es eben in einem Spezialgeschäft versuchen.«
Das tat Florian und mußte feststellen, daß Sportgeschäfte nicht nur wesentlich teurer sind, sondern auch über einen wesentlich größeren Personalbestand verfügen, denn es heftete sich sofort eine Verkäuferin an seine Fersen. Er äußerte seinen Wunsch, konnte aber keine näheren Angaben machen im Hinblick auf Oberweite und Taillenumfang.
»Ich glaube Ihnen ja gern, daß Ihre Frau eine tolle Figur hat, aber ich sollte doch die genaue Größe wissen.«
»Was gibt’s denn da so?«
»Wir führen die Größen 36 bis 48.«
»Dann nehme ich am besten die mittlere.« Er entschied sich für ein pinkfarbenes Modell, und weil er schon mal dabei war, kaufte er noch für Karsten ein Paar Shorts. Auf weißem Grund tummelten sich lauter Rhinozeros-Pärchen und übten Fortpflanzung. Florian hielt das für ein sehr passendes Geschenk.
Der Heilige Morgen begann im Hause Bender mit einem sehr unheiligen Krach, der von den einzelnen Familienmitgliedern recht unterschiedlich interpretiert wurde. Tinchen dachte sofort an Einbrecher, Florian an die Kiste mit Weinflaschen, die er gestern nacht noch in den Keller gebracht und irgendwo im Dunklen auf einer wackligen Unterlage abgestellt hatte. Julia dagegen vermutete Frühstücksvorbereitungen. Wenn ihr Vater Küchendienst hatte, ging das selten ohne Scherben vonstatten.
Nur Tobias schlief seelenruhig weiter. Die Lärmquelle war ausgeschaltet, der Wecker lag in Einzelteile zerfallen neben dem Papierkorb, der Feiertagsfrieden war wieder hergestellt.
»Das verdammte Ding hat gebimmelt«, grunzte er unter dem Kopfkissen hervor, als Tinchen auf der Suche nach dem Einbrecher in Tobias’ Zimmer stürzte. »Kann mir mal einer sagen, warum? Es sind Ferien, Mittagessen gibt es erst heute abend, und zum Friseur gehe ich nicht mehr.«
»Hättste aber dringend nötig!« Energisch zog Julia ihrem Bruder das Kissen vom Gesicht. »Auf’m Kopf siehste aus wie’n aufgeplatztes Sofa.«
»Na und? Früher war ich eitel, heute weiß ich, daß ich schön bin!«
»Idiot!«
»Könnt ihr nicht wenigstens heute mal ein bißchen friedlich sein?« fuhr Tinchen dazwischen. »Wir haben schließlich Weihnachten.«
»Erzähl das mal den Palästinensern«, konterte ihr Sohn, »die Israelis haben gestern wieder ganz schön da unten rumgeballert.«
»Das weiß ich, und ich finde es auch sehr traurig, aber du wirst wohl kaum etwas daran ändern, selbst wenn du im Bett bleibst und Strategien für einen künftigen Weltfrieden entwickelst. Politikern fallen die besten Lösungen sowieso immer erst beim Schreiben ihrer Memoiren ein. Bis dahin hast du noch eine Weile Zeit. Kümmere dich also erst mal um den häuslichen Frieden und steh auf! Es
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