Hühnerbus und Stoppelhopser (German Edition)
machte sich Florian mit seiner Sippe auf den Weg zu den Schwiegereltern. Übrigens in der Ente. Seinen Wagen hatte er zwar gefunden, er stand unbeschädigt auf dem Parkplatz vor dem Pressehaus, aber den Schlüssel hatte er zu Hause vergessen. Bei der Reinigung war er auch nicht gewesen, so daß er sich auf Tinchens Befehl in den Smoking hatte werfen müssen, der ihm schon im vergangenen Jahr zu eng geworden war. »Alkohol hat eben auch Kalorien«, hatte sie gesagt und den Hosenknopf bis zum äußersten Ende versetzt. »Steck dir für alle Fälle eine Sicherheitsnadel ein. Allerdings darfst du dann das Jackett nicht aufmachen.«
Widerspruchslos hatte sich Florian gefügt. Ein kleiner Triumph war ihm nur vergönnt gewesen, als Tinchen angefangen hatte, ihre Liebesgaben noch einmal auszupacken. Sie hatte sich beim besten Willen nicht mehr erinnern können, ob sie das Geschenk für Frau Antonie in die Silberfolie gewickelt hatte oder doch in die dunkelblaue mit den kleinen Sternchen drauf. Die Nachprüfung hatte ergeben, daß im Sternchenpapier der Kaschmirschal für Ernst Pabst gelegen hatte und im silbernen der Pulli für Julia. Frau Antonies Leinendecke mit Lochstickerei und passenden Servietten hatte Tinchen regelrecht vergessen gehabt und erst im Schlafzimmerschrank hinter den Handtaschen vorkramen müssen.
»Jedes Jahr das gleiche Theater! Am 24. Dezember veranstaltest du Ostereiersuchen.« Grinsend hatte Florian die hektische Suche verfolgt.
»Immer noch besser, als am Heiligen Abend auf Schnitzeljagd nach verschwundenen Autos zu gehen!«
Schließlich schaukelte die Ente doch noch durch die menschenleeren Straßen. Auf Julias Schoß ruhte eine Schüssel mit Kartoffelsalat, während Tinchen eine Platte mit belegten Brötchen balancierte. »Kleine Vorsichtsmaßnahme, falls der Karpfen wieder in dieser Pfefferkuchenplempe schwimmt. Ich möchte bloß mal wissen, wo Toni dieses unmögliche Rezept her hat.«
»Wahrscheinlich aus derselben Quelle, der wir neulich auch das Huhn mit Oliven zu verdanken hatten«, sagte Tobias. »Mal sehen, ob ich nachher das Kochbuch finde. Dann lasse ich es nämlich verschwinden.«
Hinten im Kofferraum klirrte es verdächtig. »Keine Angst, das sind nur ein paar Colaflaschen. Bier gibt’s ja nie, Wein mag ich nicht, und Omas Diätbrause schmeckt zum Kotzen.«
»Wie lange müssen wir eigentlich bleiben?« wollte Julia wissen.
»Essen um halb acht«, begann Tobias zu rechnen, »das dauert mit allen Zeremonien ungefähr eine Stunde. Danach dreißig Minuten Abräumen und Küchendienst, um neun Uhr Bescherung, ist ja wohl nach längstens einer Viertelstunde abgehakt, danach Beginn des gemütlichen Teils, worunter Opas Kognak und Omas kalorienarmer Sprudel nebst Zukkergußplätzchen zu verstehen sind, garniert mit Reminiszenzen wie ›Weißt du noch, Ernst, unser erstes gemeinsames Nachkriegsweihnachten …‹. Wenn wir das eine Stunde lang durchgehalten haben, werden wir uns wohl mit Anstand empfehlen können. Dann wären wir so gegen elf wieder zu Hause.«
»Spätestens!« versprach Florian. Für programmierte Familienfeiern im engsten Kreise hatte er nun mal nichts übrig, und sosehr er auch seinen Schwiegervater schätzte, länger als ein paar Stunden hielt er es mit seiner Schwiegermutter nicht aus. »Dame à la Potsdam« pflegte er sie gelegentlich zu bezeichnen, womit er seine Abneigung gegen Konventionen, Etikette und »den ganzen anderen Klimbim« zum Ausdruck brachte. Er brauchte keine hauchdünnen Porzellantassen für seinen abendlichen Tee und keine Fingerschälchen mit Zitronenscheiben drin, wozu gab’s Waschbecken, aber Frau Antonie liebte diese Accessoires nun mal und stellte sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit gern zur Schau.
»Nun guckt euch bloß wieder diesen Juwelierladen an!« Kopfschüttelnd umrundete Florian den festlich gedeckten Tisch und hob schließlich eines der schweren Silbermesser hoch. »Die Dinger sind doch waffenscheinpflichtig!«
Während Julia nach einer Vase für den mitgebrachten Blumenstrauß suchte und Tinchen anstandshalber in der Küche verschwand, räumte Tobias den Wagen aus. Karsten stand daneben und sah zu. »Warum kommt ihr eigentlich so spät?«
»Wir kommen nicht zu spät, du warst bloß zu früh da. Hier, nimm mal den Kartoffelsalat!«
Gemeinsam gingen sie ins Haus und dort schnurstracks ins Eßzimmer, wo Karsten die gelbe Plastikschüssel mitten auf den Tisch stellte.
»Seid ihr verrückt? Oma kriegt einen Herzinfarkt!«
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