Huete dich vor deinem Naechsten
selbstvergessen stand sie vor ihm, ohne ihre Brüste oder ihre Scham vor ihm zu verbergen. »Es ist vorbei. Geh.«
Er wollte Jez’ Vorschlag, den Laden zu schließen, gerade zustimmen, als er den schmutzigen, alten Mann, Charlie Shane, direkt vor der Bühne entdeckte. Er deutete auf ihn, und Jez’ Gesicht hellte sich schlagartig auf. Sie legte eine Hand an die Waffe an ihrem Gürtel. Sie würde sie nicht brauchen; Typen wie Shane erledigte sie mit einer Hand. Aber Grady wusste, Jez mochte das Gefühl des Stahls an ihrer Hand. Es gab ihr Sicherheit.
Sie näherten sich Shane von hinten, wobei sie sich durch ein Gewühl aus sabbernden alten Käuzen kämpfen mussten. Sie griffen gleichzeitig zu, und Shane wirbelte herum. Seine Miene drückte Verwirrung und Panik aus, und dann schnellte er vor und rammte seine Angreifer. Jez taumelte rückwärts gegen den Laufsteg und stieß sich den Kopf an, trotzdem nahmen beide Polizisten sofort die Verfolgung auf. Die Menge teilte sich, und jemand begann zu schreien, als Grady seine Pistole zog. Nicht dass man in New York auf flüchtige Verdächtige schießen durfte; aber die meisten Leute blieben angesichts einer Schusswaffe sofort stehen.
Nicht Shane. Er warf einen verängstigten Blick über die Schulter und rannte, als er die Pistole erkannt hatte, noch schneller in Richtung Tür. Grady streckte die Hand aus und berührte fast schon Shanes Kragen, als er plötzlich stolperte und sich auf Händen und Knien wiederfand. Die Glock war ihm aus der Hand gerutscht und schlitterte nun zwischen den Füßen der Umstehenden entlang. Jemand hatte ihm ein Bein gestellt. Grady drehte sich um und sah einen der Schlägertypen grinsen.
Grady holte sich seine Pistole wieder und wollte gerade aufstehen, als sich Jez an ihm vorbeizwängte. Shane verschwand durch die Tür, Jez hinterher. Grady sprang auf und war schnell genug draußen, um Jez in einer Einfahrt verschwinden zu sehen.
Jez flog dahin, wohingegen Grady nur noch keuchte. Zum Glück musste er nicht weit laufen, denn als er um die Ecke bog, lag Shane bereits hustend und heulend in einer dreckigen, schwarzen Pfütze. Jez kniete auf seinem Rücken und verdrehte ihm den Arm.
»Du - blödes - Arschloch!«, schrie sie, vor Wut und Adrenalin ganz rot im Gesicht. Sie zog an seinem Arm, woraufhin er einen mädchenhaften Schrei ausstieß.
»Okay, ganz ruhig«, sagte Grady, als er sich vorsichtig näherte und die Handschellen herauszog. Er packte Shanes freies Handgelenk und ließ die Handschellen zuschnappen. Dann stützte er sich mit einem Fuß auf Shanes Rücken ab und half Jez auf, zog sein Handy aus der Tasche und forderte Verstärkung an. Sie würden den Scheißladen dichtmachen, und zwar endgültig.
Er sah, dass Jez’ Auge gerötet und die Haut am Wangenknochen blutig aufgeplatzt war. Sie würde, so viel war klar, ein riesiges Veilchen bekommen.
»Er hat mich geschlagen«, sagte sie fassungslos. »Der hat mich einfach ins Gesicht geschlagen. Dieser alte, schlappe Mann!«
»Ist schon gut, Kung-Fu-Mama. Entspann dich. Atme durch.«
»Ich kann es nicht glauben. Ich bin um die Ecke gekommen und ihm direkt in die Faust gelaufen. Er hat auf mich gewartet.«
»Aber wer liegt jetzt in der Dreckpfütze? Du hast gewonnen!«
Sie nickte und lief, die Hände in die Hüften gestemmt, im Kreis.
»Ich will einen Anwalt, verdammt!«, schrie Shane, als Grady ihm seine Rechte vortrug. »Übertriebene Gewaltanwendung!«
»Halten Sie die Klappe, Shane«, sagte Grady ruhig, während er seinen Absatz noch tiefer in Shanes Rücken bohrte. »Bitte. Bitte halten Sie die Klappe.«
Plötzlich und wie aus dem Nichts heulten Polizeisirenen los und übertönten Shanes Geschrei zum Thema Ungerechtigkeit und Missachtung seiner Bürgerrechte.
Nachdem sie ihn eine Weile hatten schmoren lassen, durchnässt und schmutzig wie er war, regte er sich ab. Sie hatten ihn in einen Verhörraum verfrachtet, an den Tisch gekettet, ihm einen Pflichtverteidiger versprochen und fast zwei Stunden warten lassen. In der Zwischenzeit versorgten sie Jez’ Wunde, erledigten die Formalitäten, überprüften die von Isabel Raine gemailten Informationen sowie Charlie Shanes mögliche Vorstrafen und stellten ein paar Theorien auf. Als sie den Verhörraum endlich wieder betraten, machte Shane einen gebrochenen Eindruck. Was immer er an Alkohol konsumiert hatte, war längst abgebaut. Nun wirkte er nur noch wie ein alter, trauriger Mann, der bis zum Hals in der Tinte
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