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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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mir vor wie ein Vogel oder wie ein Schmetterling. Sie ließ sich nicht einfangen oder berühren, bloß anschauen.«
    »Aber Sie haben sie berührt, oder?« Jez stand wieder in der Ecke, halb im Schatten. »Viele Leute haben sie berührt. Sie war ein Callgirl, oder?«
    Er nickte widerstrebend. »Wir trafen ein Abkommen.«
    »Sie behielten Raine im Auge und erzählten ihr alles, was verdächtig oder außer der Regel war, wer kam und wer ging. Und dafür hat sie sich Ihnen angeboten, richtig?«
    Shane zuckte müde die Achseln. »Einmal. Danach hat sie mir Eintritt zum Topaz Room verschafft. Da gibt es andere Mädchen.«
    »Was wollte sie wissen? Worauf hat sie gewartet?«
    »Sie wollte wissen, wie oft die Raines ausgehen, ob sie glücklich wirken, ob er ihr Blumen mitbringt, ob er abends spät heimkam, ob er Frauen mit in die Wohnung nahm, wenn Mrs. Raine nicht in der Stadt war. Alles, was eine eifersüchtige Freundin eben wissen will.«
    »Und was war mit Raine, hat er den Vorfall jemals wieder erwähnt?«
    Shane nickte. »Als er am nächsten Morgen das Haus verließ, gab er mir hundert Dollar und bat mich, den Vorfall für mich zu behalten. Ich habe natürlich genickt. Er sagte, er werde sich auch weiterhin für meine Diskretion erkenntlich zeigen. Und das hat er auch getan - mit Geld, einmal mit Theaterkarten, einmal mit einer guten Flasche Scotch.«
    »Dann haben Sie beide gegeneinander ausgespielt?«
    »Ich habe beiden gehorcht . Ich habe ihnen gegeben, was sie wollten«, empörte Shane sich.
    »Wie jeder gute Portier.«
    »Richtig, Sir.« Aber Shane ließ das Kinn auf die Brust sinken und die Schultern hängen.
    »Was ist mit dieser Frau?« Grady tippte auf das Foto von S.
    Shane nickte. »Sie gehörte zu den Leuten, die ich ins Apartment gelassen habe. Sie waren zu viert, zwei Männer und zwei Frauen. Ich habe sie durch den Personaleingang rein- und wieder rausgeschmuggelt. Sie kamen mit großen Tüten, und als sie gingen, waren die Tüten voll. Ich habe keine Fragen gestellt. Ich wusste doch nicht, dass Verbrechen begangen und Menschen ermordet wurden. Erst als Sie zu mir kamen, habe ich begriffen, was ich getan hatte. Da habe ich Angst bekommen und bin untergetaucht.«
    »War der auch dabei?«, fragte Grady und deutete auf das Foto von Ivan Ragan.
    Shane schüttelte den Kopf. »Nein, den kenne ich nicht.«
    Isabel Raine hatte sie gut mit Informationen versorgt - die Fotos von Camilla Novaks USB-Stick, Adressen, Internetseiten, Namen. Sie hatte sogar selbst ein paar Schlüsse gezogen. Wie sich herausstellte, unterschied sich die Denkweise von Autorinnen und Detectives tatsächlich kaum.
    »Was noch, Shane? Was haben Sie für uns?«
    Shane schüttelte den Kopf. »Ich werde für meine Dienste bezahlt. Auch von den Raines. Es ist nicht meine Aufgabe, Fragen zu stellen oder mir ein Urteil zu bilden. Ich halte nur die Tür auf.«
    Grady starrte den Mann minutenlang an. Er konnte Shane einfach nicht verstehen. Es bereitete Grady Mühe, keine Fragen zu stellen, denn ihn trieb die Suche nach Antworten an. Er analysierte, deutete, interpretierte, suchte Zusammenhänge. Das gehörte zu seinem Job, zu seinem Leben. Vielleicht ging er es falsch an.
    »Ich glaube, Camilla war ein gutes Mädchen«, sagte Shane. »Sie hatte Fehler gemacht und war in Schwierigkeiten. Aber sie wollte ein gutes Mädchen sein.« Shane schien laut zu denken. Er war übermüdet und versank in jener Deprimiertheit, die sich bei sinkendem Alkoholpegel einstellt.
    »Das allein reicht nicht«, sagte Jez leise, vielleicht sogar ein wenig traurig. Sie starrte auf ihre Schuhe. Grady fand, sie sollte sich ein neues Paar leisten.
     
    »Was sollen wir davon halten?«, fragte Grady. Sie saßen sich wieder in ihrem Büro bei der Mordkommission gegenüber. Es war spät, die meisten Kollegen hatten längst Feierabend gemacht. Sie waren erschöpft, aber die Ereignisse des Tages wirkten noch nach und ließen sie nicht zur Ruhe kommen.
    Jez’ Schreibtisch war mustergültig aufgeräumt - säuberlich gestapelte Akten, ein Foto ihres Sohnes, fertig. Gradys Schreibtisch hingegen versank im Chaos - nicht einsortierte Unterlagen, eine umgekippte Stiftdose, die zerknüllte Papiertüte eines Sandwiches von letzter Woche, ein alter Becher mit angetrockneten Kaffeeresten, die zu riechen begannen. Er ließ den Becher in den Papierkorb fallen; so brauchte er ihn nicht abzuspülen und hatte zudem Platz für seinen Ellbogen geschaffen.
    Jez war in den Ausdruck von Isabel Raines

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