Huete dich vor deinem Naechsten
mit reichen Kindern zur Schule, die tragen Turnschuhe für zweihundert Dollar und Jeans, die noch mehr kosten. Neulich hat er sich ein bestimmtes T-Shirt gewünscht - hundertfünfzig Dollar! Ich möchte, dass er diese Sachen bekommt, aber ich kann sie nicht immer bezahlen.«
Etwas Vergleichbares hatte Grady nie aus ihrem Mund gehört. Er hatte sie immer für vernünftig und bodenständig gehalten, nicht für die Sorte Frau, die sich fragt, ob sie ihrem Sohn eine Designerjeans kaufen kann.
»Aber er braucht diese Dinge nicht«, entgegnete Grady. »Als Kind besaß ich nichts dergleichen. Klar, damals hat es mich gestört, mir aber nicht geschadet. Werden in der Privatschule nicht ohnehin Uniformen getragen?«
»Ja«, sagte Jez nickend, »aber nach der Schule und zu den Partys nicht. Er ist mit diesen Kindern befreundet. Die wohnen in Häusern, die wie Hotels aussehen. Die tragen Polo und Izod. Ich schicke ihn nur ungern mit weniger aus dem Haus, aber manchmal geht es nicht anders. Ich werde mich nicht verschulden, und ich werde seine Zukunft nicht opfern. Aber jetzt ist Weihnachten, und er wünscht sich eine Wii und ein neues Fahrrad. Ich kann mir Geschenke, wie seine Freunde sie bekommen, nicht leisten.«
Ihr verkniffener Mund verriet Grady, dass sie traurig war, dass sie wegen dieser Sorgen nachts wach lag. Er wünschte sich, alle guten Menschen bräuchten sich nicht länger über Geld Gedanken zu machen.
»Dafür hat keiner von denen eine Mom, die Kung Fu kann.«
»Das stimmt«, sagte Jez, und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Ich bin cool.«
»Und cool ist allemal besser als reich. Diesen anderen Müttern bist du doch haushoch überlegen.«
»Danke, Grady.«
Sie betrachtete ihre Hände, schnipste mit Daumen und kleinem Finger. Das tat sie, wenn sie sich unwohl fühlte.
»Ich wollte damit nur sagen, dass ich verstehen kann, was Kristof Ragan an seinem Leben mit Isabel Raine fand. Das Geld, der Lebensstil, die äußere Erscheinung. Ich glaube, er wäre nie geflohen, wenn Camilla ihn nicht bedroht hätte. Er würde immer noch in seiner Firma sitzen. Vielleicht hat er seine Frau betrogen, aber die Vorstellung vom erfolgreichen, kinderlosen Paar hat ihm gut gefallen. In Gegenwart von Isabel fand er sich gut.«
Das erschien Grady logisch. Kristof Ragan führte das Leben, nach dem er sich gesehnt hatte. Warum hätte er es für Camilla Novak aufgeben sollen? Niemals. Vielleicht hatte er sie früher einmal begehrt, immerhin war sie eine Schönheit. Aber Isabel Connelly stand nicht nur für Geld, sondern auch für den gesellschaftlichen Aufstieg. Für Ansehen. Sie verschaffte ihm Zugang zu einer anderen Welt.
»Woher kamen die Leute, die sein Apartment und das Büro verwüstet haben?«, fragte Jez, während sie in der Akte blätterte und Tatortfotos betrachtete. »Woher hatte er diese Verbindungen?«
»Durch seinen Bruder?«
Jez hielt eines der Fotos hoch, die Isabel ihnen geschickt hatte. Kristof Ragan stand auf einem Anleger in Brooklyn, umringt von drei grimmig dreinblickenden Männern in schwarzen Mänteln. Einer davon war sein Bruder.
»Ich glaube kaum, dass die Verbündeten seines Bruders noch für ihn arbeiten würden. Du?«
»Vielleicht nicht«, räumte Grady ein.
Jeder andere wäre tot, aber Kristof Ragan lebte weiter. Grady nahm sich ein Foto nach dem anderen vor und sah, was passiert war, Bild für Bild.
»Er hat irgendwo eine Nahkampfausbildung gemacht«, erklärte er. »Man überwältigt nicht einfach drei bewaffnete Männer, ohne es gelernt zu haben.«
»Die Frage ist doch: Wer hat diese Bilder aufgenommen? Wer hat zugeschaut?«, fragte Jez.
Irgendwo klingelte ein Telefon. Grady konnte am Ende des Korridors einen Fernseher hören. Es lief eine Game-Show, das Publikum applaudierte.
»Und wie gelangten sie in die Hände von Camilla Novak? Wem wollte sie die Fotos geben? Und warum?«, fragte Jez weiter und schrieb sich ihre Fragen in ein kleines Notizbuch.
»Das Opfer der Schießerei im Central Park ist noch nicht identifiziert. Ich habe eben mit dem Rechtsmediziner telefoniert.«
»Und wer ist die ?« Jez hielt das Foto von S in die Höhe.
»Keine Ahnung, aber ich bin froh, dass sie nicht meine Freundin ist. Ich wüsste nie, ob sie mich mit Sex wecken oder heimtückisch ermorden will, wenn ich schlafe.«
Jez lachte sich kaputt, und Grady lachte mit, bis ihre Gesichter tränenüberströmt waren und sie nach Luft schnappten. Sie waren albern - sie waren übermüdet und
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