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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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zusammen und schüttelte verärgert den Kopf. »Wie kommst du darauf, Sherlock?«
    Er zuckte die Achseln. »Hast du ihn verlassen?«
    Sie schlang sich die dünnen Arme um den Leib, starrte auf den Fußboden und begann dann, an einer unsichtbaren Schramme an ihrem Ellbogen herumzuzupfen. Sie wich seinem Blick aus. Plötzlich sah er ihre Schultern beben. Sie schlug sich die Hände vors Gesicht. Grady blieb sitzen. Wenn sie weinte, wollte sie nicht angefasst werden, das machte sie böse.
    »Es tut mir wirklich leid, Clara«, sagte er von der Treppe aus. »Ich wollte ihn bloß ärgern. Ich wollte nicht, dass du Probleme kriegst.«
    »Oh«, sagte sie zwischen ihren Fingern hindurch und lachte verbittert, »dazu brauche ich keine Hilfe. Ich mache mir meine Probleme selbst, Grady.«
    Er wollte sie spüren, sein Gesicht in ihrem Haar vergraben. Seine Hände sehnten sich nach ihrem Körper, er wollte sie zurückhaben, hier in diesem Zimmer, in dem ihr Eheleben stattgefunden hatte. Er wollte sie im dunklen Schlafzimmer atmen hören und den Lichtspalt unter der Badezimmertür sehen, wenn sie nachts aufstand. Er wollte ihr morgens beim Haareföhnen zuhören, wenn sie das Lied aus dem Radio ziemlich falsch mitsang. Er wollte an einem Freitagabend mit ihr auf der Veranda sitzen und Wein trinken und den Nachbarskindern auf der Straße beim Baseballspielen zuschauen. Vor einer Ewigkeit war er eines dieser Kinder gewesen. Er verlangte nicht viel, sehnte sich nicht nach Extravaganz, brauchte keine Wochenenden in Paris und keinen Veuve Clicquot. Aber zwischen ihnen klaffte eine riesige Lücke; zwischen der jetzigen Situation und jenem ersehnten Ort lag ein weites, steiniges Feld. Er wusste nicht einmal, was sie wollte. Ihm wurde klar, dass er sie nie danach gefragt, dass er selbst in diesem Augenblick keine Ahnung hatte, was sie glücklich machen würde.
    »Er hat sich über den Anruf nicht aufgeregt. Das ist ja das Schlimme. Er war nicht einmal sauer. Du? Du hättest zu schreien angefangen wie ein kleiner, eifersüchtiger Junge.«
    Er steckte den Schlag ein, ohne zu antworten. Sie hatte recht. Wäre er in Seans Lage gewesen, er wäre explodiert.
    »Und dann?«
    Sie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Er hat mich gefragt, warum ich dich angerufen habe. Ob ich dich vermisse? Ob ich wirklich mit dir abgeschlossen hätte?«
    Sie stieß einen Seufzer aus, zog die Decke weg und schlug die Beine übereinander. Sie trug schwarze Leggings und eins seiner alten Regis-Sweatshirts, die im Lauf der Jahre immer weiter und verwaschener wurden. Früher hatte er das ihre »Hausuniform« genannt.
    »Er hat gesagt, er wolle sicher sein, dass wir beide mit Herz und Seele dabei sind, wenn wir vor den Traualtar treten. Er hat Angie nie heiraten wollen, aber sie war schwanger, und sie waren noch jung. Er hielt es für seine Pflicht. Vielleicht sagt er die Wahrheit. Aber er hat sie nicht genug geliebt, um die Höhen und Tiefen einer Ehe zu meistern. Er will nicht denselben Fehler zweimal begehen, indem er jemanden heiratet, der ihn nicht genug liebt.«
    Grady wollte einen spöttischen Kommentar darüber abgeben, wie tiefgründig sein guter Kumpel Sean doch sei, wie weise in Sachen Liebe, aber ihr Gesicht verriet ihm, dass sie den beschissenen Kommentar regelrecht erwartete. Mit einem Mal wusste er, dass er jetzt sehr vorsichtig und verantwortungsvoll mit ihr umgehen musste, wollte er sie nicht in die Arme von Mr. Wunderbar zurücktreiben. Er entschied sich für ein gravitätisches Nicken. Im Spiegel sah es gut aus.
    »Was hast du geantwortet?«
    »Ich habe ihm erzählt, warum ich dich angerufen habe.«
    »Warum?«
    »Weil ich schwanger bin«, antwortete sie leise, ohne Grady anzusehen. »Weil ich nach der Scheidung mit dir geschlafen habe und meine Periode ausgeblieben ist.«
    Grady hatte das Gefühl, von einer Welle überspült zu werden, davongetragen zu werden. Schnell erhob er sich.
    »Ich habe ihm nicht gesagt, dass ich jeden Tag an dich denke und mich frage, wo du bist und was du tust und ob du eine Neue kennengelernt hast. Ich habe ihm nicht gesagt, dass ich jedes Mal, wenn ich mit ihm zusammen bin« - beschämt schlug sie die Augen nieder - »daran denken muss, wie es mit dir war.«
    Für einen Moment fürchtete Grady zu träumen und plötzlich aufzuwachen und von der Enttäuschung zermalmt zu werden. Er hatte sich solche Szenen schon zusammenfantasiert, war kaum aus dem Bett gekommen, als ihm bewusst wurde, dass sie nicht bei ihm

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