Huete dich vor deinem Naechsten
weiße Bluse und schlichte schwarze Pumps - konservativ und professionell wirkte.
»Ich bin Gabriela Pavelka, die Heimleiterin. Kann ich Ihnen helfen?«
»Sie sprechen Englisch?«, fragte ich erleichtert. Ich wollte die Unterhaltung ohne Ales führen.
»Ja«, sagte sie nickend. An ihren zurückgezogenen Schultern merkte ich, wie stolz sie darauf war. »Sie sind Journalistin?«
»Nein«, sagte ich und blickte über die Schulter zu Ales, der an einem Geländer lehnte und sich mit einer jungen Frau mit tätowiertem Gesicht unterhielt. Es sah aus, als trüge sie eine Kriegsbemalung um die Augen. Sie lächelte und nahm die ihr von Ales angebotene Zigarette.
»Unser Dolmetscher hat mich wohl missverstanden. Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?«
»Darf ich fragen, worum es geht? Mir ist nicht einfach so erlaubt, mit der Presse zu sprechen.«
»Es geht um eine private Spende.«
»Kommen Sie in mein Büro«, sagte sie und führte mich zu einer Tür, die in einen hinteren Gebäudeteil führte. Ich schaute zu Jack, aber der hob die Hand, um zu signalisieren, dass er warten würde. Ich folgte der Heimleiterin. Vermutlich wollte Jack unseren Dolmetscher und den Mietwagen im Auge behalten, was vernünftig schien.
Gabriela führte mich in ein kleines, kahles Büro. Als Erstes fiel mir ihr Hochzeitsfoto auf - sie trug weiße Spitzen und küsste einen gut aussehenden Mann mit kräftigem Kinn und kurzen, braunen Haaren. An ihrem Finger glänzte ein kleiner Diamant an einem schlichten Goldring. Auf dem Schreibtisch: eine Tasse mit kaltem Kaffee, ein leuchtend rotes Blackberry, eine Kopie der britischen Vogue , hastig und nur zur Hälfte unter einem Aktenstapel versteckt. Ein zweites gerahmtes Foto zeigte sie mit einem dunkelhaarigen Kleinkind auf der Hüfte. Im Hintergrund erkannte ich den Central Park.
»Sie waren in New York?«, fragte ich.
»Ja«, antwortete sie. »Nach dem Studium habe ich drei Jahre als Au-pair gearbeitet, um meine Sprachkenntnisse zu verbessern.«
»Ihr Englisch ist fantastisch«, lobte ich sie. Ich meinte es ehrlich, wollte ihr aber auch ein wenig um den Bart gehen.
»Danke«, sagte sie, und plötzlich wirkte ihr höfliches Lächeln wärmer. »Sie sind Amerikanerin. Aus New York?«
»Ja.«
Sie nahm das Foto in die Hand und betrachtete es. »Ich vermisse es. Ich habe die Stadt geliebt.«
»Warum sind Sie zurückgekommen?«
»Weil zu viele junge Menschen Tschechien für immer den Rücken kehren. Was soll aus unserem Land werden, wenn wir alle weggehen? Ich wollte etwas Sinnvolles tun, mit Kindern arbeiten, deswegen bin ich hier, um dieses Kinderheim zu leiten.«
»Das ist eine verantwortungsvolle Aufgabe.«
»Ja«, sagte sie ernst, warf einen letzten Blick auf das Foto und stellte es auf den Schreibtisch zurück. »Nun, um auf Ihre Frage zurückzukommen …«
Ich zog die Kopie des Dauerauftrags aus der Tasche, die Detective Crowe gemailt hatte, und betrachtete den Zettel kurz. Sie wartete.
»Wurden Sie jemals belogen?«, fragte ich. Ich bemerkte, wie ihr Blick zum Hochzeitsfoto wanderte.
»Wer wurde das nicht?«, fragte sie schulterzuckend. »So ist das Leben. Die Menschen lügen.«
Ich schilderte, was mir passiert war, wobei ich die blutrünstigen Details ausließ. Während ich meine Geschichte vor ihr ausbreitete, richtete sie sich immer weiter auf, und als ich fertig war, lag ihr Oberkörper fast auf dem Schreibtisch.
»Ich bin auf der Suche nach ihm«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob Sie mir helfen können, aber Sie sind meine einzige Hoffnung.«
Sie schüttelte langsam den Kopf. »Wie schrecklich. Es tut mir leid, aber ich wüsste nicht, was wir für Sie tun könnten.«
»Kennen Sie den Spender?«
»Ich weiß natürlich von dem Geld«, antwortete sie. »Für uns ist das eine ganze Menge - vierzigtausend US-Dollar im Jahr! Die Spende erreicht uns anonym. Angeblich verbrachte der Spender seine Kindheit hier. Später bewarb er sich für ein Stipendium in den USA, und mit achtzehn Jahren ist er ausgewandert, um zu studieren. Inzwischen soll er sehr reich und erfolgreich sein. Er will uns helfen, weil er selbst ein Waisenkind war. Aber das sind nur Gerüchte.«
Vor dem Fenster erstreckte sich die weite, flache Landschaft. In der Ferne zog ein großer, schwarzer Vogel dicht über dem Erdboden seine Kreise. Ich hatte das Gefühl, in einer Sackgasse gelandet zu sein. Ja, das Waisenhaus hatte Geld bekommen. Na und?
»Der richtige Name meines Mannes ist Kristof Ragan. Er hat
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