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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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gab keine Anzeichen eines Kampfes. Einige Gegenstände fehlten - die Schlüssel, seine Brieftasche, eine Armbanduhr, die er täglich trug. Der Artikel bestätigte, was ich bereits über vermisste Männer gelernt hatte: Niemand legte sich groß ins Zeug, um ihn zu finden. Niemand hörte jemals wieder von ihm. Bis heute war sein Verbleib ungeklärt.
    Ich warf dem Detective einen Blick zu. Ich weiß nicht, was er erwartet hatte, aber nun schlug er die Augen nieder, und ich begriff, dass er Mitleid mit mir hatte.
    »Irgendjemand, der zufällig denselben Namen hat«, sagte ich matt.
    »Und dieselbe Biografie«, meinte er. »Möglich. Aber wie wahrscheinlich?«
    Ich starrte auf seine Schuhe. Man konnte sehen, wie teuer sie gewesen waren. Dem Leder und den Nähten zufolge hätte ich auf Italien getippt. Eigentlich konnte er sich solche Schuhe gar nicht leisten; ich überlegte mir, dass er sich wohl verschuldet hatte, hoch sogar. Mein Verstand führte mich automatisch in die Irre, wenn ich einer Sache nicht mehr gewachsen war.
    »Isabel?«
    Ich hob den Kopf. Er hielt mir ein Foto hin, ich nahm es in die Hand.
    »Kennen Sie diesen Mann?«, fragte Detective Crowe.
    Einen Moment lang glaubte ich, ein Bild meines Mannes vor mir zu haben. Aber nein, dieser Mann hatte schmalere Schultern, weniger markante Gesichtszüge, und seine Augen waren braun, nicht hellblau. Tatsächlich, bei genauerem Hinsehen ähnelte der Mann Marcus kein bisschen mehr, abgesehen vom Teint, dem kurz geschorenen Haar und dem blonden Kinnbart.
    »Das ist Marcus Raine, geboren am 9. Juni 1968, vermisst seit dem 2. Januar 1999.«
    Derselbe Name, dasselbe Leben, derselbe Geburtstag wie von meinem Mann - aber nicht mein Mann.
    Das Foto war vermutlich auf der Besucherterrasse des Empire State Building aufgenommen. Hinter seinem Kopf erstreckte sich die Stadt. Der Fremde mit dem Namen meines Mannes hielt eine hübsche Blondine im Arm. Beide hatten sich ein bemühtes Touristenlächeln aufgesetzt.
    »Kennen Sie ihn, Isabel?«
    Kam er mir bekannt vor? Möglicherweise hatte ich ihn schon einmal gesehen, konnte aber nicht sagen, wann und wo. Ich hatte niemanden von den Menschen, mit denen Marcus vor unserer Begegnung zu tun hatte, jemals kennengelernt, weder seine Familie noch seine Freunde und Kollegen.
    »Man könnte sagen, dass eine gewisse Ähnlichkeit besteht, oder?«, fragte Crowe.
    »Ich weiß nicht«, entgegnete ich, weil ich dem Detective nichts offenbaren wollte. »Kann sein.«
    »Was ist mit dem Mädchen? Camilla Novak?«
    Das Mädchen auf dem Foto war auf eine herbe, sehnige Art schön, wie es typisch für tschechische Frauen ist. In Prag war mir aufgefallen, dass sie allesamt aussahen wie kostbares Metall, wie Edelsteine - atemberaubend, aber wenig einladend. Auch diese Frau strahlte das aus. Ansehen, aber nicht anfassen. Ich konnte sie nicht einordnen, aber irgendwie kam mir ihr Name bekannt vor. Hatte ich ihn irgendwo gelesen oder gehört? Ich konnte mich nicht erinnern.
    »Nein. Ich kenne keinen von beiden.«
    Plötzlich kam mir ein Gedanke, der mich schnell auf die Füße springen ließ; zu schnell. Ich wollte gerade zu Boden sinken, als Detective Crowe mich am Ellbogen abstützte.
    »Sachte, sachte«, sagte er und setzte mich wieder aufs Bett. »Was ist denn?«
    »Wir hatten ein kleines Fotoalbum, ein leinenbezogenes Buch mit alten Fotos, Briefen und Kochrezepten seiner Mutter. Er hat es hinten in seinem Kleiderschrank aufbewahrt.«
    »Ich hole es. Wo ist es?«
    Ich deutete auf den Wandschrank und musste eine plötzliche Übelkeit, ein Schwindelgefühl bekämpfen. Als Crowe den Schrank öffnete, sah ich, dass Marcus’ Designeranzüge sich unangetastet darin befanden, sorgsam nach Farben geordnet. Die Anzüge und Hemden hingen auf Bügeln, Pullover und Strickwaren waren ordentlich gefaltet. Es fühlte sich wie eine Beleidigung an. Das Album und alle anderen persönlichen Gegenstände waren natürlich verschwunden. Detective Crowe drehte sich um und zeigte mir seine leeren Hände.
    »Hier ist nichts.«
    Ich fühlte eine Woge aus Angst und Trauer in mir aufsteigen. Das Album mit den abgestoßenen Kanten und vergilbten Seiten, die sich aus der Bindung lösten, war laut Marcus’ eigener Aussage sein einziges Erinnerungsstück an die Vergangenheit gewesen. Grobkörnige Kinderfotos in Schwarz-Weiß, ein Bild der Eltern, die ich nie kennengelernt hatte, Rezepte in einer hübschen Frauenschrift. Auf Tschechisch abgefasste Briefe seiner Tante. Ich hatte mir

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