Huete dich vor deinem Naechsten
meine Kräfte gesammelt hatte. Ich schaute die Detectives an. »Man kann doch nicht so einfach in die Haut eines anderen schlüpfen, sich verwandeln, ein neues Leben annehmen. Irgendwann hätte irgendjemand gemerkt, dass es sich nicht um den echten Marcus Raine handelt.«
»Vielleicht hat irgendjemand etwas bemerkt, in der Tat«, meinte Crowe. »Vielleicht geht es genau darum. Er sah sich gezwungen, erneut unterzutauchen. Und alles, was uns seine Identität verraten könnte« - er ließ den Arm durch den Raum schweifen - »weg!«
»Seine Fingerabdrücke sind überall - im Büro, in diesem Apartment«, entgegnete ich. »Seine DNA - überall!«
»Das hilft uns nur weiter, wenn seine Daten irgendwo bei uns erfasst sind«, erklärte Breslow geduldig, als hätte sie es mir schon hundertmal gesagt. »Und das wissen wir erst, wenn seine Fingerabdrücke und die DNA-Spuren aufbereitet wurden und IAFIS und CODIS durchlaufen haben, die zuständigen Datenbanken. Es kann eine Weile dauern, bei eiligen Fälle ungefähr eine Woche, bis die Ergebnisse vorliegen und ans FBI weitergeleitet werden. Und falls er in den USA noch nie verhaftet wurde und seine DNA sich mit keinem unserer ungelösten Fälle in Verbindung bringen lässt, stehen wir mit leeren Händen da.«
Ich ließ mich wieder aufs Bett sinken. Fühlte, wie der Mann, den ich liebte und mit dem ich fünf Jahre zusammengelebt hatte, mir langsam entglitt. Ich erinnerte mich daran, wie er in den Aufzug gestiegen und beim Hinunterfahren gerufen hatte: »Ich liebe dich, Izzy.« Ich dachte, er hätte es gesagt; ich wollte daran glauben. Aber vielleicht hatte ich mich getäuscht. Wieder hörte ich die entsetzlichen Schreie, spürte den kalten Hauch in meinem Nacken, der mir die Haare zu Berge stehen ließ.
»Nein«, sagte ich. »Nein. Etwas stimmt nicht. Sie machen einen Fehler.« Denn es war unmöglich, oder? Dass der Mann, den ich geheiratet hatte, ganz anders sein sollte, als ich glaubte.
Detective Crowe lehnte an der Wand und beobachtete mich. »Er hat Ihre Sozialversicherungsnummer gebraucht, um seine Firma zu gründen. Der Name Marcus Raine taucht in keinem einzigen Firmendokument auf. Er ist nicht einmal dort angestellt. Alles läuft über Sie. Über Sie und Rick Marino.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich verstummte, versuchte, mich zu fangen.
»Wissen Sie noch, wie er sich bei Ihrer Trauung ausgewiesen hat?«, fragte Breslow. Sie klang sanft und rücksichtsvoll. Ich schaute zu ihr hinüber und sah, wie sehr sie mit mir mitfühlte. Auch sie war angelogen worden, sie wusste, wie das war. Aber im Gegensatz zu Crowe hatte es sie nicht bitter gemacht. Nur wachsamer.
Unsere Akten waren verschwunden, das wussten die Detectives auch. »Ich habe keine Ahnung.«
Sie reichte mir drei weitere Zettel. Eine Kopie von Marcus Raines’ Green Card mit Foto, eine Kopie seiner Sozialversicherungskarte, eine Kopie unserer Heiratsurkunde.
»Das ist Marcus Raine«, erklärte sie. Sie stellte sich neben mich und deutete mit dem Finger auf ein fremdes Gesicht. Dann tippte sie auf die anderen Kopien. Alle Versicherungsnummern stimmten überein.
Crowe nahm ein Foto von Marc von meinem Schreibtisch. »Das hier ist nicht derselbe Mann.«
Wir schwiegen. In Gedanken ging ich hastig alle Möglichkeiten durch; ich suchte immer noch nach einer Erklärung für das große Missverständnis.
»Sie behaupten also, er habe eine neue Identität angenommen, mich mit einer geklauten Sozialversicherungsnummer geheiratet und anschließend meinen Namen und meine Versicherungsnummer missbraucht, um Razor Technologies zu gründen?«
Ich konnte nicht glauben, dass ich das gesagt hatte. Ich kam mir so zerfetzt vor wie die Matratze, auf der ich saß.
Breslow nickte. »So sieht es für uns im Moment aus.«
»Was ist dann mit diesem Mann geschehen?«, fragte ich und hob die Kopie der Green Card in die Höhe.
»Eine weitere, sehr gute Frage«, sagte Crowe.
Eigentlich hätte ich meinen Mann verteidigen müssen, ich hätte mich über den schrecklichen Ermittlungsfehler aufregen und mit einer Klage drohen müssen. Ich hätte nicht einfach dasitzen und die Wand anstarren dürfen. Aber ich konnte nicht anders.
»Mrs. Raine, ist Ihnen klar, wen Sie da möglicherweise geheiratet haben?«
Ein seltsames Gefühl beschlich mich, als ich hier in meinem zertrümmerten Schlafzimmer vor zwei Polizisten saß, die mehr über meinen Mann wussten als ich. Es war, als hätte der Zug endlich mein Ziel erreicht, nur
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