Huete dich vor deinem Naechsten
spürte es. Eines Tages habe ich eine SMS entdeckt und ihn gebeten, es zu beenden. Er versprach es mir. Ich habe nie etwas über sie erfahren.«
Er zupfte an seinen Hemdsärmeln, strich die Manschetten glatt, die aus den Ärmeln seiner Jacke herausragten, und runzelte die Stirn.
»Sie kommen mir nicht wie jemand vor, der nicht weiter nachbohrt.«
Vielleicht glich ich meiner Mutter mehr, als ich zugeben wollte. In mancherlei Hinsicht jedenfalls. Trotzdem war es damals anders; ich wollte nichts über Marcus’ Geliebte erfahren, um meine Fantasie nicht anzuregen. Sie sollte eine Kleindarstellerin bleiben, die fast unbemerkt über die Bühne gehuscht war. Details hätten mich nur dazu gezwungen, sie wichtiger zu nehmen, als ich gewollt hätte.
»Er hat sie in Philadelphia kennengelernt. Mehr weiß ich nicht.«
»Und selbst das war möglicherweise gelogen?«
Ich zuckte die Achseln und nickte.
»Das war das Schlimmste für mich, wissen Sie, damals, mit meiner Frau. Ich glaube, den Seitensprung hätte ich ihr noch verzeihen können. Es waren die Lügen, die Heimlichtuerei, die mir den Rest gegeben haben. Für Untreue kann fast jeder ein gewisses Verständnis aufbringen, oder? Die Sache mit der Lust - die lässt sich nicht kleinreden. Es ist die kalkulierte Durchführung, die sie so hässlich und unverzeihlich macht. Man denkt, sie sei bei ihrer Mutter, aber sie ist bei ihrem Freund. Da dreht sich einem doch der Magen um.«
Ich antwortete nicht, weil ich wusste, was er plante. Er wollte meine Wut wecken, mich zum Reden bringen. Ich sollte ihm mein Herz ausschütten. Ich hatte genug Krimis im Fernsehen gesehen, um das zu durchschauen. Ich würde auspacken, und dann käme ein »Widerspruch« über meine Lippen, oder ich würde mich verplappern, zu viel verraten. Vielleicht würde ich sogar gestehen, meinen Mann ermordet und seine Leiche im East River versenkt, seine Mitarbeiter getötet und das Büro sowie unser gemeinsames Apartment verwüstet zu haben.
»Und Sie haben ihm vergeben? Sind bei ihm geblieben?«
»Ja.« Stimmte das wirklich? Hatte ich ihm jemals vergeben?
»Warum?« Er rotzte die Frage fast heraus. Was er eigentlich wissen wollte, war: »Wie?«
Ich musterte ihn. Wieder so ein hübsches Outfit - braune Wollhose mit dunkelbraunem Ledergürtel und passenden Schuhen, cremeweißes Oberhemd, dunkler Mantel, das schwarze Haar mit Pomade zurückgekämmt, gepflegter Dreitagebart. Seine Intelligenz und Berufserfahrung kaschierten seine Unreife wie ein hauchdünner Lack. Er war ein Junge, ein großes Kind, auch wenn er kurz vor seinem vierzigsten Geburtstag zu stehen schien. Er glaubte noch an Märchen.
»Weil ich ihn liebe, Detective.«
»Ein liebendes Herz vergibt alles.« Er klang verbittert.
»Ein liebendes Herz akzeptiert und schaut in die Zukunft. Die Vergebung stellt sich später ein, eventuell.«
Diese Antwort schien ihm alle Selbstgefälligkeit auszutreiben; seine Augenbrauen zuckten kurz, er sah traurig aus, erholte sich aber schnell.
»Mrs. Raine, was haben die hier gesucht? Fällt Ihnen auf, dass etwas fehlt, abgesehen von den Computern und den Akten aus dem Hängeregister?«
Er zermürbte mich mit seinen Fragen, seiner Überheblichkeit, mit der ständigen Wiederholung meines Namens. Die ganze Entschlossenheit und Energie, die ich im Taxi noch gespürt hatte, war verschwunden. Ich fühlte mich wie ein Sandsack. »Keine Ahnung.«
Ich starrte auf meine nackte Hand. Er folgte meinem Blick. »Wo ist Ihr Ehering?«
»Weg«, erwiderte ich. »Mein Schwager sagt, er habe mir schon bei der Einlieferung ins Krankenhaus gefehlt.«
Das hatte etwas zu bedeuten, wir wussten es beide. Aber keiner von uns wusste, was. Der Detective machte sich eine Notiz in seinem Büchlein. Er erkundigte sich nach dem Aussehen des Rings, schrieb meine Antworten mit. Es gab nicht viel zu beschreiben - ein zweikarätiger Rubin im Kissenschliff, Platinfassung. Der einzige Gegenstand in dieser Welt, der mir etwas bedeutet hatte.
Das Handy in meiner Tasche vibrierte. Ich zog es heraus und betrachtete das Display. Ich klappte das Gerät auf, las die SMS und klappte es wieder zu.
»Wer war das?«, fragte Detective Crowe. Ein bisschen unhöflich, fand ich, außerdem ging es ihn nichts an.
»Meine Schwester macht sich Sorgen«, antwortete ich. Er nickte, als würde er sich mit besorgten Schwestern auskennen. Ich spürte, wie mein Brustkorb sich weitete und meine Schultern verkrampften.
»Sie sehen wieder ganz schön blass
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