Huete dich vor deinem Naechsten
aus«, sagte er nach einer Weile.
Ich stand auf und ging zur Tür. »Wissen Sie was? Sie hatten recht. Ich sollte nicht hier sein. Ich will gar nicht hier sein. Ich muss hier weg.«
Er stellte sich mir in den Weg, was mir gar nicht gefiel. Ich wich einen Schritt zurück.
»Wir haben viel zu besprechen«, sagte er in sanftem, aber dennoch entschiedenem Ton. »Und wo Sie schon hier sind, können wir das gleich erledigen.«
»Ich weiß. Aber ehrlich gesagt würde ich das lieber woanders tun«, entgegnete ich. »Sie haben selbst gesagt, ich hätte nicht herkommen dürfen, und Sie hatten recht damit. Außerdem haben Sie hier für die nächste Zeit sicher genug zu tun - Fingerabdrücke, DNA, was auch immer.«
»Das erledigen die Forensiker von der technischen Abteilung. Die waren schon da, und während die an der Analyse sitzen, bleibt mir nichts zu tun, als Fragen zu stellen. Die richtigen führen mich hoffentlich zur Beantwortung der Frage, warum jemand drei Menschen getötet und Ihr Apartment und die Firma verwüstet hat. Und warum Marcus Raine , bei dem alle Spuren zusammenlaufen, verschwunden ist.«
Er betonte Marcus’ Namen auf ganz seltsame Weise.
»Warum sprechen Sie seinen Namen so komisch aus?«, fragte ich.
Er hob einen Finger. »Tja, das ist eine gute Frage!«
Sein Doppelgänger war zurück, jener Schatten, den mein verwirrtes Gehirn hinter ihm stehen sah. Ich verspürte eine Mischung aus Ärger, Angst und Antipathie für diesen Mann, der sich mir mit seinem massigen Körper in meinem eigenen Arbeitszimmer in den Weg stellte. Ich trat noch einen Schritt zurück und stand an der Wand.
»Marcus Raine, geboren 1968 in der CSSR. 1990 in die USA ausgewandert, bekam ein Stipendium für die Columbia University, wo er ein Studium der Informatik erfolgreich abschloss. Hielt sich zunächst mit einem Studenten-, später mit einem Arbeitsvisum in den USA auf, bis er 1997 die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm.«
»Richtig.« Abgesehen vom letzten Punkt hatte er all das am Vorabend von mir erfahren. Mit dieser Art der Ermittlung konnte er mich wenig beeindrucken.
»Arbeitete in einer neu gegründeten Firma namens Red Gravity, verdiente ein kleines Vermögen, als das Unternehmen 1998 an die Börse ging.«
Ich nickte. Das Geld hätte nicht ausgereicht, um sich zur Ruhe zu setzen. Aber es war mehr, als Marcus sich jemals erträumt hatte - zumindest hatte ich damals diesen Eindruck gewonnen.
»Er hatte genug verdient, um kurz nach unserer Hochzeit eine eigene Firma zu gründen«, sagte ich.
Der Detective lächelte freudlos. »Na ja, eigentlich nicht. Darüber wollte ich mit Ihnen reden.«
Ich ertrug seinen besserwisserischen Ton kaum noch, wurde rot und kam mir wie eine Lügnerin vor - oder wie eine Idiotin. Ich versuchte noch einmal, an ihm vorbeizukommen. Plötzlich war es im Zimmer viel zu warm. Er wartete einen Moment, bevor er mich durchließ. Ich kam nicht weit, nur bis zum Bett, wo ich mich auf die zerschlissene Bettdecke fallen ließ. Es sah aus, als hätte ein besonders starker Mensch ein Messer in die Matratze gerammt und sie der Länge nach aufgeschlitzt. Hier lassen sich jede Menge Spuren einer blinden Zerstörungswut finden . War es möglich, dass Marcus und ich uns noch am Morgen des Vortags hier geliebt hatten?
»Marcus Raine«, fuhr der Detective fort, kam aus dem Zimmer und zog einen gefalteten Zettel aus der Tasche, »verschwand im Frühling des Jahres 1999.«
Er reichte mir den Zettel, einen Ausdruck eines Online-Artikels der Times . Dabei fiel mir auf, dass die Haut an seinen Fingerknöcheln aufgerissen war und seine Hände rau und geschwollen aussahen. Ich wollte ihn danach fragen, als mir einfiel, dass ich selbst genug Probleme hatte.
Das Herz klopfte mir bis zum Hals, als ich den kleinen Bericht über einen jungen Mann las, einen erfolgreichen Programmierer, der spurlos verschwunden war. Dort stand auch, der junge Mann habe keine Eltern mehr und sei zu Zeiten des Kommunismus in einer Kleinstadt nahe Prag von seiner Tante großgezogen worden. Dann sei er in die Vereinigten Staaten gekommen, um sich den amerikanischen Traum eines jeden Immigranten zu erfüllen. Und gerade als er es vom Tellerwäscher zum Millionär gebracht hatte - er hatte sich in eine junge Frau verliebt und um ihre Hand angehalten -, war Marcus Raine verschwunden. War eines Tages nicht zur Arbeit erschienen. Seine Freundin meldete ihn als vermisst, und die Polizei verschaffte sich Zugang zu seinem Apartment. Es
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