Huete dich vor deinem Naechsten
Augenbrauen, nickte kurz und zog ihr Handy aus der Manteltasche. Solche Anrufe übernahm immer sie; sie stellte sich geschickter an, hatte die besseren Kontakte und war weniger launisch. Alles schien müheloser zu laufen, wenn Jez sich darum kümmerte. Crowe hatte feststellen müssen, dass er mit manchen Leuten einfach nicht zurechtkam. Er wusste nicht, woran es lag.
Vorgestern Abend hatte seine Ex angerufen. Ihm war klar, dass sie es war, als das Telefon zu klingeln anfing. Dabei hatte sie seit Monaten nicht angerufen. Er kam gerade vom Hanteltraining im Keller des Reihenhauses in Bay Ridge, das sie früher zusammen bewohnt hatten.
»Du kannst es behalten«, hatte sie damals gesagt, als das gemeinsame Vermögen aufgeteilt wurde. »Ich hasse Brooklyn. Und ich hasse dieses Haus.« Sie hatten es von Gradys Großeltern geerbt, konnten es aus Geldmangel aber nie renovieren. So liefen sie über denselben Linoleumboden, auf dem Gradys Vater als Kind gespielt hatte, ertrugen dasselbe rosa gekachelte Badezimmer, stiegen dieselbe knarrende Treppe hinauf. Er liebte das Haus, es gehörte ihnen und war vollkommen schuldenfrei, da es vor langer Zeit abbezahlt und die Nebenkosten unglaublich niedrig waren. Wir sollten es verkaufen, uns was Eigenes suchen . Aber er hatte sich geweigert. Er konnte das Elternhaus seines Vaters unmöglich verkaufen, das irgendwie auch sein eigenes war. Den ersten und schlimmsten Streit hatten sie wegen des Hauses.
Er war außer Atem, sein T-Shirt schweißnass, als er das Telefon klingeln hörte. Der Klingelton schallte durchs ganze Haus, bohrte sich durch alle Wände, und Gradys Handflächen fingen zu kribbeln an. Auf dem Weg hinauf nahm er zwei Treppenstufen auf einmal und erreichte das Telefon, ein avocadogrünes, altmodisches Ding an der Wand, noch vor dem dritten Klingeln.
»Crowe«, sagte er.
Schweigen in der Leitung. Aber es handelte sich eindeutig um ihr Schweigen. Er hätte es immer erkannt.
»Clara. Leg nicht auf.«
Langsames Ausatmen, so als versuche sie, mit ihrem Atem eine kalte Glasscheibe beschlagen zu lassen. Als sie sprach, klang ihre Stimme angespannt. »Woher weißt du, dass ich es bin?«
»Ich denke immer an dich, wenn mein Telefon klingelt. Dass du heute Abend dran bist, ist reiner Zufall.«
»Hör auf damit.«
»Clara, ich vermisse dich«, sagte er. Es klang flehentlich. »Es bringt mich noch um. Ich muss immer wieder an das letzte Mal denken.«
Er hörte sie nach Luft schnappen und wusste, als Nächstes würde sie weinen. Er war selbst den Tränen nahe, und sein Hals schnürte sich zu.
»Komm zurück.« Er bat sie nicht zum ersten Mal.
»Ich lege jetzt auf. Ich hätte nicht anrufen dürfen.«
»Warte«, sagte er schnell. Sie legte auf, und er lehnte den Kopf an die Wand. »Warte«, sagte er in die tote Leitung. Er holte aus und boxte mit aller Kraft gegen die Wand. Der Putz war kreisförmig eingedellt, und Grady riss die Hand zurück. Der Schmerz setzte mit einem dumpfen Pochen ein und strahlte dann auf den ganzen Arm aus. Gradys Fingerknöchel waren aufgeplatzt und bluteten.
»Scheiße«, flüsterte er, obwohl er am liebsten gebrüllt hätte. Der Schmerz tat gut. Lieber ertrug er körperliche Schmerzen als dieses innerliche Reißen, das ihn quälte, seit Clara ihn verlassen hatte. Unglücklicherweise musste er jetzt doppelt leiden.
»Ich wollte dich noch fragen, was mit deiner Hand passiert ist«, sagte Jez, als sie über den Henry Hudson Parkway rasten. Zu ihrer Linken glitzerte der schmutzige Fluss, zur Rechten erhob sich die Stadt. Jez hatte wie durch Zauberei einen Durchsuchungsbefehl erwirkt, und nun waren sie unterwegs zu Charlie Shanes Adresse in Inwood.
»Kneipenschlägerei.«
»Klar.«
»Wie bitte?«
»Sagen wir es mal so: In meinen Augen bist du ein Denker, kein Schläger.«
»Na toll«, sagte er leicht beleidigt. Immerhin waren sie Kollegen, sie sollten einander den Rücken stärken. Glaubte sie wirklich, er sei unfähig, bei einer Schlägerei seinen Mann zu stehen? Er hätte sie am liebsten gefragt.
»Nein, im Ernst.«
»Ist beim Training passiert. Am Sandsack.«
Sie nickte, wirkte immer noch skeptisch, sagte aber nichts mehr. Sie hatte eine mütterliche Ader, immer ein Taschentuch griffbereit und einen Riecher für Ausreden. Und außerdem immer etwas zu essen dabei - Erdnussbutterkekse oder Granola-Riegel.
»Ich weiß, wie schwer es ist«, sagte sie, als würde sie lediglich laut denken. Sie schaute aus dem Fenster, nicht in seine
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