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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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ein stilles Haus genauso wenig ertragen wie ein dunkles. Sie sorgte stets für Licht und Lärm. Heute, in ihrer Abwesenheit, schien sich im Haus nur Freds bedächtige, stille Energie auszubreiten.
    »Was ist passiert, Isabel?«, fragte er schließlich, legte mir seine Hände auf die Schultern und drehte mich zu sich. »Wer hat dir das angetan?«
    »Ich …« Ich wollte mir eine Lüge ausdenken, fand aber nicht die nötige Kraft dazu. »Ich weiß es nicht genau.«
    »Setz dich erst einmal«, sagte er und schob mich ins Wohnzimmer. Ich lehnte mich an ihn, auf einmal schien mir alles unendlich schwer. Er führte mich zu dem breiten Plüschsofa vor dem Kamin, in dem noch ein paar Scheite glühten. Ich ließ mich auf den weichen Chenillestoff fallen und erzählte Fred alles, verschwieg nichts. Ich fing bei dem Abend an, als Marcus nicht nach Hause gekommen war, und endete mit meinem Besuch des Geldautomaten.
    »Ich brauche einen Computer, um festzustellen, was er mir sonst noch genommen hat. Außerdem will ich so viel wie möglich über diesen anderen Marcus Raine herausfinden.«
    Fred setzte sich mir gegenüber auf den Hocker. Während meiner überraschend nüchternen Schilderung war er auf und ab gelaufen. Nun beugte er sich vor und legte eine Hand auf meinen Arm.
    »Isabel, du solltest dich ausruhen.« Er klang sanft, aber bestimmt. »Ich rufe inzwischen unseren Anwalt und ein paar Bekannte an, die bei der Polizei arbeiten. Die werden sich um dein Schlamassel kümmern. Du nimmst jetzt ein Bad, und dann legst du dich hin.«
    »Fred, das geht nicht …«, hob ich an. Aber das Sofa war so weich und das Zimmer so warm. Er legte meine Füße auf den Hocker, auf dem er eben noch gesessen hatte. Ich ließ mich tiefer in die Kissen sinken. Das Zimmer verschwamm, und ich erinnerte mich an die Warnung des Notarztes, ich solle mich ausruhen oder die Konsequenzen tragen. Ich fragte mich, ob er meinen schwächer werdenden Willen und die Bewusstseinstrübung vorhergesehen hatte, und spürte, dass jemand mich zudeckte.
    »Keine Sorge, Isabel. Wir finden eine Lösung.«
    »Ich muss an den Computer«, sagte ich, aber meine Stimme klang fremd, und die Worte kamen nur mühsam heraus.
    »Ich hole meinen Laptop«, sagte er. »Wir haben jetzt WLAN, nachdem Trevor und Emily sich beim letzten Besuch beschwert haben.« Ich hatte das Gefühl, er wolle mich einlullen, doch plötzlich fehlte mir die Kraft, mich zu widersetzen. Das Dämmerlicht wurde immer dunkler und verschluckte mich.
     
    Als mich ein lautes, abruptes Knacken aufweckte, das nach dem Brechen eines Asts klang, brauchte ich eine Weile, um aus dem Tiefschlaf aufzuwachen. Das Knacken hallte in meinen Ohren nach, und dann war es still. Ich lauschte auf die leisen Hausgeräusche - das Ticken einer Uhr, das Brummen der Heizkörper. Mein ganzer Körper war angespannt und kribbelte, mein Atem ging schwer.
    Die Zimmer im Erdgeschoss von Freds und Margies Haus waren wabenförmig um das große Foyer angeordnet und durch unzählige Flure und Zwischentüren miteinander verbunden. Vom Wohnzimmer kam man ins Esszimmer, das in die Küche überging. Von der Küche gelangte man durch einen kurzen, schmalen Durchgang in die riesige Bibliothek und von dort ins Arbeitszimmer, von dem aus eine Treppe in den ersten Stock führte. Außerdem erreichte man von hier aus wieder die Eingangshalle.
    Die Schiebetüren zwischen Foyer und Wohnzimmer waren geschlossen, die zum Esszimmer standen offen. Ich hörte ein leises Klicken, so als schließe jemand eine Tür ab.
    Ich wollte nach Fred rufen, ließ es dann aber bleiben. Stattdessen glitt ich vom Sofa und ließ die Decke zu Boden rutschen. Über den dicken Teppich schlich ich bis an die Esszimmertür - gerade noch rechtzeitig, um drei massige Schatten zu erkennen, die über die gegenüberliegende Wand huschten. Panische Angst ergriff mich und schien die Luft ringsum zu verdichten.
    Ich scannte den Raum nach einer Waffe ab. Mein Blick blieb an dem eisernen Schürhaken neben dem Kamin hängen. Ich riss ihn hektisch heraus, so dass der Ständer mitsamt den anderen Gerätschaften auf den Steinboden krachte. In der Stille nach dem Knall schien das ganze Haus den Atem anzuhalten. Hastig ging ich meine Möglichkeiten durch. Keine einzige davon gefiel mir.
     
    Ich bin in diesem Haus nicht aufgewachsen. Fred und meine Mutter bezogen es, kurz nachdem ich an die NYU gegangen war. Bis dahin hatten wir in unserem alten Haus gelebt, einem großen, weitläufigen,

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