Huete dich vor deinem Naechsten
schaffen nicht alle.«
Sie nickte. »Ja, damit kannte ich mich aus - Kekse backen, Knie verbinden, zuhören und Puppenkleider flicken. Aber es geht um etwas viel Wichtigeres. Etwas, das ich dir jetzt erklären muss, weil ich es dir damals nicht vorgelebt habe.«
»Keine Sorge, Mom. Ich verdiene mein eigenes Geld«, sagte ich. Sie ergriff meine Hand und drückte sie fest.
»Das ist gut. Aber hör mir zu. Wenn du den Richtigen gefunden hast und dich Hals über Kopf verliebst, Izzy, dann schenke ihm dein Herz, wenn es denn sein muss. Aber schenke ihm nie, niemals dein Geld.«
Sie starrte mich eindringlich an, so wie früher, wenn sie mir einbläute, niemals zu einem Fremden ins Auto zu steigen oder mich betrunken ans Steuer zu setzen. Die entsetzlichen Folgen hatte sie sich schon in allen Farben ausgemalt. Ich merkte, dass ich ungeduldig mit ihr wurde. Ich war anders als sie. Ich brauchte keinen Versorger.
»Okay, Mom, ist ja schon gut«, sagte ich und machte mich los. »Ich habe verstanden.«
Als ich neben Detective Crowe auf der Straße stand, stieg ein furchtbarer Zorn in mir auf. Die Laternenpfähle waren mit grünen Girlanden umwickelt, die Leute trugen Plastiktüten voller Geschenke, und aus den Lautsprechern eines Elektroladens plärrte »Jingle Bells«. Ich nahm kaum etwas davon wahr. Das Ausmaß des Betrugs hatte etwas aufgerissen, und plötzlich starrte ich in einen schwarzen Abgrund. Ohne es zu wollen, bewegte ich mich Schritt für Schritt in der Zeit zurück, und ich begriff, dass es sehr wohl Hinweise gegeben hatte und zahlreiche ungenutzte Gelegenheiten, Fragen zu stellen. Nun musste ich mich fragen: Hatte ich mein persönliches Ehemärchen gelebt, ohne vorher gründlich zu prüfen, mit wem ich die männliche Hauptrolle besetzte? Ich wich unwillkürlich vor dem Detective zurück, und Panik ergriff mich.
»Isabel, wo wollen Sie hin?«, fragte er mit warnendem Unterton.
»Ich muss hier weg«, keuchte ich und riss einen Arm hoch. Sofort hielt ein gelbes Taxi.
Der Detective machte keine Anstalten, mich aufzuhalten, obwohl er so wirkte, als hätte er es gern getan. Ich sah, wie er den Arm hob und wieder sinken ließ. Er gab sich ganz ruhig, abwartend, so wie ein Sammler, der den seltenen Schmetterling nicht verschrecken möchte.
»Halten Sie Kontakt zu mir«, rief er. »Andernfalls muss ich mich fragen, welche Rolle Sie bei der ganzen Sache spielen.«
Ich drehte mich um, packte den Türgriff und stieg in das Taxi. Der Detective schüttelte den Kopf - ob verblüfft oder missbilligend, konnte ich nicht sagen -, und das Taxi rauschte davon. Er legte sich eine Hand ans Kinn, während er dem Wagen nachstarrte.
»Wohin?«, fragte der Fahrer. Ich konnte nur die Rückseite seines kahlen Kopfes erkennen. Auf dem Foto am Armaturenbrett sah er aus wie The Crusher, der Wrestler.
»Weiß ich noch nicht. Fahren Sie nach Norden.«
Erst jetzt, als ich allein im Taxi saß, wagte ich es, mir die SMS von vorhin noch einmal durchzulesen. Die zweite stammte nicht von Linda, sondern von Marcus.
Glaub nicht, ich hätte dich nicht geliebt, denn ich habe es getan. Erinnere dich daran, dass ich dich eine Zeit lang glücklich gemacht habe, dass wir gute Freunde und ein überdurchschnittliches Liebespaar waren. Und dann vergiss mich. Trauere um mich, als wäre ich tot. Versuch nicht, mich zu finden oder die Fragen zu beantworten, die du dir jetzt sicher stellst. Falls doch, kann ich dich und deine Familie nicht beschützen. Meine Hände fingen zu zittern an. Ich wusste, es wäre zwecklos zurückzuschreiben oder anzurufen. Ich wusste auch, dass dies seine letzte Nachricht an mich war. Ich starrte auf die Wörter im Display und konnte immer noch nicht glauben, dass es wirklich passierte. Ich wartete immer noch darauf aufzuwachen.
Plötzlich fielen mir bruchstückhafte Szenen wieder ein. Die Frau in dem Pariser Nachtklub, die ihn mit einem anderen Namen angesprochen und seine Wange getätschelt hatte, bevor er ihre Hand wegschob und erklärte, es müsse sich um ein Missverständnis handeln. Die Nachricht auf unserem Anrufbeantworter vor ein paar Wochen: Marcus, lieber Freund, hier spricht Ivan. Gerade aus Tschechien angekommen. Wir haben viel zu besprechen. Der Mann hatte beschwingt und freundlich geklungen und dennoch geheimnisvoll. Er hatte eine Nummer hinterlassen. Marcus schien sich zu verspannen, als ich ihm die Nachricht vorspielte, und behauptete dann, den Anrufer nicht zu kennen. »Lösch das«, hatte er gesagt,
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