Huete dich vor deinem Naechsten
»der hat sich verwählt.« Als ich nachhakte, erklärte er: »Gott weiß, wer das war. Irgendein Tscheche, der Arbeit sucht und dem ich ohne Gegenleistung einen Gefallen tun soll. Wahrscheinlich denkt er, ich sei ihm was schuldig, nur weil er ein Landsmann ist. Nein danke!« Ich fragte nicht weiter nach, obwohl ich sicher war, dass mehr dahintersteckte. Wenn er nicht mit mir darüber sprechen wollte, hatte er sicher seine Gründe.
Und da war noch etwas. Ein befremdlicher Vorfall, den ich zu ignorieren versucht hatte. Auf meiner Internetseite waren seltsame E-Mails eingegangen. Normalerweise erhielt ich täglich mehrere Mails von Fans, Kritikern oder Buchhändlern, die mich zu Lesungen einluden; ich bekam Einladungen zu Konferenzen und so weiter. Hin und wieder gingen auch Mails von Leuten ein, die mich baten, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben, oder die eine »geniale« Idee für mein nächstes Buch hatten. Und manchmal von Verrückten, die mich bedrohten, wegen angeblicher Recherchefehler beschimpften, die unverhohlen nach Nacktbildern fragten oder mich einfach nur plump anmachten.
Im Lauf der vergangenen Wochen hatte ich zwei oder drei Mails von einer Unbekannten erhalten, die behauptete, Informationen über meinen Mann zu haben. »Sie sind in Gefahr«, stand in einer. »Ihr Mann ist nicht der, für den Sie ihn halten.« In der Vergangenheit hatte ich so viele seltsame E-Mails bekommen, dass ich ohne nachzudenken auf die Löschtaste drückte. Nun durchforstete ich mein Hirn auf der Suche nach dem Namen der Absenderin und dem genauen Wortlaut der Nachrichten. Aber ich hatte sie nur überflogen, gelöscht und dann vergessen.
Und plötzlich dann wusste ich, wohin ich wollte. An einen sicheren Ort mit Computer, wo ich Zugang zum Internet hatte und meinen nächsten Schritt planen konnte. Vielleicht lagen die E-Mails noch im Papierkorb. Der Gedanke gab mir neue Kraft, ich hatte endlich eine konkrete Aufgabe und fühlte mich wieder stark. Auf keinen Fall würde ich mein Leben einfach so fortsetzen. Falls Marcus dachte, ich würde mich verkriechen und ihm nachweinen, hatte er sich in mir genauso getäuscht wie ich mich in ihm.
Grady beobachtete, wie das Taxi im Strom der vielen anderen Taxis auf dem Broadway verschwand. Er hatte kurz daran gedacht, Isabel Raine einfach zu packen, sie dann jedoch ziehen lassen. Was blieb ihm anderes übrig! Er hatte, juristisch betrachtet, nicht das Recht, sie festzuhalten. Wenn er Hand an sie legte, würde er unter Umständen großen Ärger bekommen, und den konnte er nicht gebrauchen. Also gestattete er ihr, dem Fluchtreflex nachzugeben; vielleicht würde sie zurückkommen, wenn er sie anrief oder sie einsah, dass sie ohne die Polizei aufgeschmissen war.
Sie war eine typische Manhattan-Schönheit - mit Ecken und Kanten, mit eigenem Stil und makelloser Haut -, aber nicht sein Typ. Nicht dass man ihn um seine Meinung gebeten hätte, doch eine Frau wie Isabel Raine wäre nichts für ihn. Zu neurotisch, zu intellektuell. Genau wie seine Ex. Er sehnte sich nach einer Frau, die nicht ständig über das Glück nachgrübelte. Nach einer Frau, die einfach glücklich war, die sich vom Leben und der Liebe treiben ließ und nicht ständig gegen den Strom schwimmen musste.
»Wo ist sie hin?« Breslow stand neben ihm.
»Sie hat die Nerven verloren. Alle Konten sind leer.« Sie nickte, als hätte sie nichts anderes erwartet. »Was hat sie nun vor?«
»Mein Tipp?«, fragte er, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. »Irgendeine Dummheit.« Aus dem Augenwinkel konnte er Jez nicken sehen.
»Lass uns nach Camilla Novak suchen«, sagte Breslow nach einer Weile. »Ich glaube, wir sollten bei ihr ansetzen.«
Grady zuckte die Achseln. Ihm fiel kein besserer Vorschlag ein. Trotzdem rührte er sich nicht von der Stelle. Irgendetwas beschäftigte ihn. Er wusste nur nicht genau, was.
»Crowe, heute noch «, sagte Breslow ungeduldig. »Um drei muss ich Benji aus Riverdale abholen.«
»Der Portier«, sagte Crowe.
»Wer? Shane?«
»Ja.«
»Immer noch nicht zu Hause.«
»Wir sollten uns einen Durchsuchungsbefehl holen und sein Apartment auf den Kopf stellen.«
»Ich glaube kaum, dass wir einen Durchsuchungsbefehl kriegen, bloß weil der Kerl nach der Arbeit nicht nach Hause gekommen ist.«
»Er hatte die Möglichkeit, die Einbrecher ins Gebäude zu lassen, er hat seinen Posten vor Schichtende verlassen und uns Informationen vorenthalten. Es wäre einen Versuch wert.«
Sie hob die
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