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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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mir meine Mutter von den Monaten nach Vaters Selbstmord; von den haushohen Schulden, von denen sie nichts geahnt hatte, von Dads Spielsucht, die ihm alles geraubt hatte, selbst seinen Lebenswillen. Sie brauchte eine knappe Woche, um herauszufinden, dass unser Haus vor der Zwangsversteigerung stand, unser Auto gepfändet werden würde, dass alles, was sie als ihren Besitz betrachtet hatte, einer Bank gehörte, die seit Monaten auf die Ratenzahlungen wartete. Sogar der neue Herd.
    Noch während sie um ihren Mann trauerte, musste sie sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass er sie im Lauf ihrer Ehe in jeder Hinsicht belogen, alle Ersparnisse verprasst und uns schließlich im Stich gelassen hatte. In wenigen Wochen würden wir obdachlos sein.
    »Ich fühlte mich, als hätte ich Abflussreiniger getrunken«, sagte sie. »Innerlich brannte alles. Nie werde ich jene Nächte vergessen oder die Sorgen, die ich mir gemacht habe. Wie wütend ich in meiner Dummheit und Hilflosigkeit auf euren Vater war und auf mich selbst. Ich konnte mich an niemanden wenden. Keiner in unserer Familie hatte das Geld, das ich brauchte, um uns zu retten. Und dann kam Fred.«
    Er hatte sie seit Jahren geliebt, erzählte sie, aus der Ferne, respektvoll. Sie hatten sich in der Kirche kennengelernt. Meine Mutter hatte sonntags immer allein den Gottesdienst besucht. Fred war ein wohlhabender Mann; er kam aus reichem Hause, hatte mehrere gut laufende Lebensmittelgeschäfte geerbt und schließlich ein Vermögen damit gemacht, die Läden an eine große Supermarktkette zu verkaufen und den Gewinn geschickt zu investieren. Er bezahlte die Schulden meines Vaters und löste die Hypothek für unser Haus ab.
    »Ich weiß nicht, was ohne Fred aus uns geworden wäre.«
    »Aber hast du ihn geliebt, Mom?«
    Sie schwieg, nippte an ihrem Kaffee, und der riesige Smaragd an ihrem Finger funkelte im Sonnenlicht. Vom Fenster aus beobachteten wir Fred, der hinten auf dem weitläufigen Gartengrundstück stand und ein Vogelhäuschen mit Körnern befüllte. Ihr Haus in Riverdale glich einem Palast; ich hatte sie kein einziges Mal streiten hören.
    »Ich habe gelernt, ihn zu lieben. Er ist ein guter Mann«, antwortete sie schließlich. »Außerdem halte ich die romantische Liebe für überbewertet. Vielleicht gibt es sie nicht einmal.«
    Ich erinnerte mich daran, wie ihre Hand auf Freds Oberschenkel lag, wenn er uns in seinem Mercedes zu Mittagessen, Museumsbesuchen und Theaterabenden in die Stadt kutschierte. Er war immer nett zu uns, doch er war nicht mein Vater. Jahrelang hatte ich weder etwas für noch gegen ihn. Im Lauf der Zeit entwickelte sich zwischen uns aber so etwas wie eine Freundschaft, gegenseitige Achtung und Zuneigung, die von unserer Liebe zu Margie geprägt war.
    »Warum erzählst du mir das jetzt?« Als ich da mit ihr saß, hatte ich plötzlich jenen Abend, an dem sie ihre Hochzeit mit Fred ankündigte, wieder glasklar vor Augen. Damals hatte sie sich geweigert, uns die Wahrheit zu sagen.
    »Weil du jetzt eine erwachsene Frau bist. Du hast noch dein ganzes Leben vor dir, und ich möchte dir verraten, was mir niemand beigebracht hat.«
    Sie stand auf und ging zur Kaffeekanne auf dem Küchentresen, füllte ihren Becher und kam dann mit der Kanne an den Tisch, um auch mir nachzuschenken. Sie war immer noch schön; die Jahre hatten ihr nichts anhaben können, obwohl sie das anders sah. Sie beschwerte sich über ihren Hals, über die Tränensäcke. Aber vor einer Schönheitsoperation hatte sie zu viel Angst. »Es ist, als bäte man Gott um die Bestrafung der eigenen Dummheit. Man legt sich unters Messer, damit er eine günstige Gelegenheit bekommt.« Sie wirkte würdevoller und stärker als die Frau, die mich großgezogen hatte.
    »Geld bedeutet Macht, Isabel«, sagte sie und starrte einen fernen Punkt hinter meinem Kopf an. »Freiheit. Auch in deinen Entscheidungen. Nein, Glück kann man nicht kaufen. Aber alles andere. Es ist viel leichter, unglücklich zu sein, wenn man Geld hat.«
    »Mom«, sagte ich. Sie hob die Hand.
    »Als ich mich in deinen Vater verliebt habe, legte ich mein Leben in seine Hände. Während all der Jahre, die wir verheiratet waren, habe ich keinen einzigen Scheck ausgestellt. Ich wusste nicht einmal, wie viel Geld er verdiente. Aus heutiger Sicht kommt mir das dumm vor. Ich war ein dummes Mädchen, das vom Haus des Vaters in das Haus des Ehemanns umzog. Ich habe nie gelernt, mich selbst zu versorgen.«
    »Du hast uns versorgt. Das

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