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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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heruntergekommenen Gebäude, denn meine Mutter war der Ansicht gewesen, wir dürften nicht zu viel auf einmal verändern. Der Schuppen, in dem mein Vater sich erschossen hatte, wurde abgerissen. Meine Mutter legte an der Stelle einen Gemüsegarten an, den sie hegte und pflegte. »Sie verbringt da draußen mehr Zeit als früher mit ihm«, sagte meine Schwester verbittert. Damit hatte sie natürlich recht. Sie da draußen zu sehen, wenn sie auf den Knien Unkraut jätete und im Frühjahr Setzlinge einpflanzte, war für uns weniger tröstlich als für sie selbst.
    Meine Schwester und ich hätten das Haus zu gern verlassen, erinnerte uns doch jedes Zimmer, jede knarrende Bodendiele und jeder Wasserfleck an der Decke an unseren Vater. Vielleicht war meine Mutter diejenige, die sich nicht trennen konnte. Fred führte persönlich die verschiedensten Reparaturen und Renovierungen durch, obwohl er über genug Geld verfügte, um jemanden einzustellen. Im Lauf der Zeit brachte er die Elektrik und die Wasserleitungen auf Vordermann, deckte das Dach neu und zog die alten Holzböden ab. Er malte und tapezierte und verlegte neuen Teppichboden. Als Margie und Fred auszogen, war das alte Haus komplett instand gesetzt. Sie verkauften es an ein junges Ehepaar, das eine Familie gründen und nicht länger in der Stadt leben wollte. Später erzählte Fred mir, die Renovierungsarbeiten seien für ihn wie eine Therapie gewesen. Mein Vater hatte viele Baustellen hinterlassen, die Fred nicht aufräumen konnte, und Lücken, die er nicht füllen durfte. Aber das Haus nahm seine Zuwendung an; es ließ sich bereitwillig reparieren und flicken, so wie sich der Gedenkgarten meiner Mutter ihrer Pflege nicht widersetzte.
    Dieses neue, nach den Vorstellungen meiner Mutter gebaute Haus war mir bekannt, aber nicht vertraut. Ich wusste nicht, welche Bodenbretter quietschten. Hier gab es keine dunklen Gänge, alte Speisenaufzüge oder versteckte Abstellkammern. In diesem Haus konnte man sich nicht verstecken. Ich würde kämpfen müssen.
    Zum Glück wirkt Todesangst wie ein Adrenalinstoß mitten ins Herz. Nie zuvor hatte ich mich so wach und entschlossen gefühlt, als ich ins Esszimmer schlich. Aber als ich den Raum betrat, den Schürhaken zum Schlag erhoben wie einen Baseballschläger, war er leer. Ich blieb auf der Schwelle stehen, lauschte und fragte mich, ob ich langsam paranoid wurde und mir alles nur eingebildet hatte.
    Schnell durchquerte ich das gesamte Erdgeschoss. Ich machte mich darauf gefasst, Fred ganz friedlich im Arbeitszimmer sitzen zu sehen. Er würde Augen machen, wenn er mich mit dem Schürhaken entdeckte. Aber ich begegnete niemandem, bis ich ins Foyer kam.
    Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, was ich sah. Fred, der gute, alte Fred, lag blass und reglos auf dem Marmorboden. Sein Kopf ruhte in einer großen Blutlache. Arme und Beine waren leicht ausgestreckt, so als wollte er einen Schneeengel machen. Ich ließ mich neben ihm auf die Knie fallen. Der Schürhaken landete mit einem lauten Klappern auf dem Boden.
    Mir blieb keine Zeit zu weinen oder zu schreien. An der Wand vor mir erhoben sich die drei Schatten. Ich war nicht allein. Ich fuhr herum und sah drei Männer aus dem Arbeitszimmer kommen. Ich begriff, dass sie mir durch alle Zimmer gefolgt waren. Ich wollte nach dem Eisenhaken greifen, aber einer der Männer stieß ihn mit dem Fuß beiseite.
    Obwohl er sehr groß wirkte - mindestens eins neunzig und über hundertzwanzig Kilo schwer -, strahlte der Mann etwas Kränkliches, fast Schwächliches aus. Es lag an seiner Augenpartie. Sein Gesicht war nicht blass, sondern grau. Er hielt ein riesiges Gewehr im Arm, das er langsam, fast zögerlich auf mich richtete. Ich hielt ganz still und versuchte, alle Details wahrzunehmen.
    Die anderen Männer waren ähnlich bewaffnet, ein bisschen kleiner, aber ebenso bedrohlich und mit einer ebenso ungesunden Gesichtsfarbe wie der erste. Sie sahen wie Brüder aus, beide hatten rotblondes Haar und ein fliehendes Kinn. Ich wollte etwas sagen, aber der Schrecken ließ meinen Mund trocken werden. Es fühlte sich an, als steckte Watte in meiner Kehle. Ich robbte auf Händen und Knien rückwärts. Ich wollte überall lieber sein als in der Nähe dieser Kerle.
    Der große Mann hob eine Hand. »Halt still«, sagte er lächelnd. »Bitte beweg dich nicht.«
    Ich erkannte sofort die Stimme auf dem Anrufbeantworter wieder. Ivan. Ich war klug genug, mir nichts anmerken zu lassen. Ich musterte die Augen

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