Hueter der Daemmerung
Kissen vom Fußboden aufzusammeln. »Also können wir wohl rauf ins Fernsehzimmer gehen, wo es gemütlicher ist.«
Seb nahm mir die Kissen ab und klemmte sie sich lässig unter den Arm. »Ja, das klingt besser.«
Oben legten wir die Kissen zurück aufs Sofa und gingen dann in die Küche, um uns eine Cola zu holen. Zeug dieser Art war immer reichlich im Haus – die Hälfte der Vorräte im oberen Stockwerk bestand aus Konservendosen und Getränken. Die andere Hälfte aus Munition und Kampfausrüstung. Es war, als hätte Juan sich auf eine Belagerung vorbereitet.
Ich reichte Seb eine Cola, ließ die Kühlschranktür einen Moment lang offen und äugte hinein. »Willst du was essen?«
Er verzog das Gesicht, als er die Cola öffnete. »Das Essen hier ist so … amerikanisch«, sagte er.
Über die Kühlschranktür hinweg warf ich ihm einen Blick zu. »Was? Wie zum Beispiel?«
Seb zuckte mit den Schultern. »Cheetos, Tortilla Chips und so was alles«, sagte er und lehnte sich an die Arbeitsplatte. Ich sah, wie sich die Muskeln seines Oberkörpers unter seinem T-Shirt abzeichneten. Schnell schaute ich wieder in den Kühlschrank. Was ist bloß los mit dir?, fragte ich mich irritiert. Du liebst Alex, also was gibt es da zu gucken?
»Tortilla Chips sind aber irgendwie auch mexikanisch, oder nicht?« Meine Stimme klang glücklicherweise normal.
Seb lachte und nahm eine Tüte von der Arbeitsfläche. »Willow – die sind orange«, sagte er und hielt sie in die Höhe. »Und Cheetos sind auch orange. Beide sind knallorange.« Er schüttelte sich. Tatsächlich hatte er nicht ganz unrecht.
Ich lachte ebenfalls und spürte, wie meine Anspannung nachließ. »Okay, ich geb’s ja zu. Nacho-Käse-Chips sind wahrscheinlich nicht sehr mexikanisch«, sagte ich und ließ meine Blicke weiter durch den Kühlschrank schweifen. Viel war nicht da -die Jungs aßen alle wie die Scheunendrescher, sodass wir nur selten Reste hatten. »Ich meinte ja auch die Einfachen, die man mit Salsa isst.«
»Ein bisschen vielleicht«, lenkte Seb ein und warf die Tüte zurück auf den Tresen.
Ich schloss die Kühlschranktür und schnappte mir einen Beutel Schokoladenkekse von der Arbeitsfläche. »Hier – Schokokekse mag nun wirklicherer«, sagte ich und gab sie ihm. »Mexikaner inklusive. Und sie sind kein bisschen orange.«
Er grinste. »Versprochen?«
»Si, versprochen.«
Im Fernsehraum setzte ich mich aufs Sofa. Ein Teil von mir hoffte, dass Seb den Sessel nehmen würde, aber er setzte sich neben mich. Nicht direkt neben mich, aber ich war mir sehr bewusst, dass er da war, keinen Meter weit weg. Ich versuchte, nicht darauf zu achten, kickte meine Schuhe von den Füßen und machte es mir in einer Sofaecke gemütlich.
Seb bückte sich, um ebenfalls seine Turnschuhe auszuziehen, und ich entdeckte eine weitere Narbe an seinem Unterarm: diese hier war ein dünner weißer Schnitt, wie von einer Messerklinge, der sich deutlich von seiner gebräunten Haut abhob. Die Zeit schien sich zu verlangsamen, während ich die Narbe anstarrte und daran dachte, was Seb mir alles erzählt hatte – ich fand es schrecklich, was er hatte durchmachen müssen.
»Ich wünschte, wir hätten uns schon als Kinder gekannt«, platzte ich heraus. Auf der Stelle war es mir peinlich, aber es stimmte. Ich wollte die Zeit zurückdrehen und für ihn da sein, damit er wüsste, dass er nicht allein auf der Welt war.
Ein paar lose braune Locken fielen Seb in die Stirn, als er zu mir hochsah. Er wirkte nicht überrascht, nur irgendwie wehmütig. »Ja, das wünschte ich auch«, sagte er leise. »Mein ganzes Leben lang habe ich mir das gewünscht.« Er lächelte bedauernd. »Ich glaube allerdings, es wäre besser gewesen, wenn wir zusammen bei dir in den Bergen gewohnt hätten als bei mir.«
Eine Sekunde lang wollte ich ihn nur noch umarmen. Ich schaute woanders hin, verschränkte die Arme vor der Brust und ignorierte die tückische Stimme, die mir zuflüsterte: Freunde können sich umarmen.
»Also, du warst dabei, mir zu erzählen, was mit deinem Engel passiert ist«, sagte ich und hoffte, dass Seb von dem Ganzen nichts mitbekam. Gott, so musste es Alex mit seiner Gedanken lesenden Freundin ergehen.
Falls Seb meine Verwirrung spürte, ließ er sich nichts anmerken. »Ja. Mein Engel hat mich gerettet, glaube ich.« Er ließ sich in der gegenüberliegenden Sofaecke nieder, streckte die Beine aus und überkreuzte die Knöchel. Das Sofa war lang genug, sodass seine großen
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