Hueter der Daemmerung
mehr, als ich dir gerne verraten würde«, bekannte er. Ich konnte spüren, dass er sich wünschte, seine Antwort würde anders ausfallen. »Aber jetzt war schon ziemlich lange nichts los«, fügte er hinzu.
»Warum?« Das Wort rutschte mir einfach heraus. Seb sah so gut aus – es war schwer vorstellbar, dass er nicht jedes Mädchen haben konnte, das er wollte.
Er zauderte, während er mich betrachtete. Abermals erhaschte ich den Eindruck, dass er tief in seinem Inneren etwas verbarg. »Keine Ahnung«, sagte er irgendwann. »Immerzu mit dem falschen Mädchen zusammen zu sein … wahrscheinlich habe ich mich dabei nach einer Weile einsamer gefühlt, als wenn ich allein war.«
Ich verspürte einen Stich. Alex war mein allererster Freund, trotzdem kam es mir so vor, als hätten Seb und ich etwas gemeinsam. Auch ich war einen großen Teil meines Lebens über einsam gewesen.
»Das verstehe ich«, sagte ich leise. »Wirklich.«
Er lächelte kläglich. »Ich wünschte, ich wäre früher darauf gekommen«, war alles, was er erwiderte.
Ich war mir bewusst, wie privat das Gespräch war, dafür, dass wir uns erst am Tag zuvor kennengelernt hatten – aber irgendwie kam es mir gar nicht seltsam vor. Und wenn Seb viel Erfahrung mit Mädchen hatte und ihm noch nie etwas aufgefallen war …
Seb musterte mich immer noch. »Hier geht es um dich und Alex, oder?«, stellte er fest. »Du machst dir Sorgen um ihn. Ich kann es spüren.«
»Vor einer Woche oder so hatte er einen Migräneanfall«, gab ich zu. »Und er hat häufig Kopfschmerzen. Ich hatte solche Angst, dass das meine Schuld war. Dass ich ihm geschadet habe, bloß weil ich mit ihm zusammen bin.«
Seb hatte die Augen geschlossen und schüttelte den Kopf. Er stieß ein ersticktes Lachen aus. »Ah, caramba !Falsche Antwort, was? Kann ich sie zurücknehmen? Ja, wir fügen den Menschen schrecklichen Schaden zu. Du solltest dich auf der Stelle von Alex trennen, damit ihm nichts passiert. Soll ich mit raufkommen und dir dabei helfen, es ihm beizubringen? Als dein Bruder wäre es mir eine große Freude.«
»Seb!« Beinahe lachte ich laut los, obwohl ich noch immer nicht völlig überzeugt davon war, dass kein Anlass zur Sorge bestand. »Also … bist du dir ganz sicher?«, hakte ich nach. »Du hast nie mitbekommen, dass eine von deinen Freundinnen Migräne gekriegt hat oder Kopfschmerzen oder irgend so was in der Art?«
Sebs Miene wurde sanft. »Ja, ich bin mir sicher. Willow, wir sind doch auch zur Hälfte menschlich – wieso sollte unsere Energie ihnen schaden?« Er berührte kurz meine Hand, tröstlich lagen seine Finger auf meinen. »Bitte mach dir keine Gedanken mehr, querida. Es ist alles in Ordnung, da bin ich mir absolut sicher.«
Erleichterung. Bodenlose, totale Erleichterung. »Oh, Gott sei Dank«, flüsterte ich. »Die letzten Tage hatte ich solche Angst, dass ich ihm etwas angetan habe. Und ich habe mich dafür gehasst, dass ich nichts gesagt habe. Ich habe mich so abscheulich gefühlt …«
»Du?« Seb feixte plötzlich. »Du könntest nicht abscheulich sein, und wenn du dich auf den Kopf stellst. Du bist viel zu süß dafür.«
»Süß?« Ich verzog das Gesicht, unwillkürlich musste ich lachen. »Ich bin nicht süß.«
»Oh doch. Das ist mir von Anfang an aufgefallen. Du magst es, Menschen zu helfen. Sie bedeuten dir eine Menge. Du bist –« Seb unterbrach sich und betrachtete mich lange. »Etwas Besonderes«, schloss er dann.
Angesichts des Ausdrucks in seinen Augen wand ich mich unbehaglich. »Seb …«
»Ich spreche hier lediglich als dein Bruder«, fügte er nachdrücklich hinzu. »Hin und wieder dürfen Brüder so was sagen.«
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, obwohl ich vorwurfsvoll den Kopf schüttelte. Ich fügte Alex keinen Schaden zu, ich fügte ihm definitiv keinen Schaden zu. In meinem Inneren schien millionenfach die Sonne aufzugehen. »Du bist noch nicht fertig damit, mir von deinem Engel zu erzählen«, sagte ich nach einer Pause. »Hat er dich so lange getriezt, bis du auf ihn gehört hast?«
Bevor Seb antworten konnte, ging die Kellertür auf. »Hey«, rief Alex’ Stimme nach unten. »Wir wollen gleich los.«
Ich rappelte mich von meinem Kissen hoch und ging zu ihm hinauf. Er hatte seine Waffe überprüft und steckte sie gerade zurück ins Holster. »Noch eine Jagd?«, fragte ich und sah ihm beklommen zu.
Alex nickte. Unter dem roten aufgeknöpften Karohemd, das ihm locker über die Hose hing, trug er sein weißes
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