Hueter der Daemmerung
ihre Flügel schlugen sacht hin und her. Sie war immer noch verwirrt, aber auch zunehmend erleichtert. Vielleicht hatte sie sich geirrt, dachte sie zuletzt. Denn nun schien alles in Ordnung zu sein -absolut in Ordnung.
Sie war nicht annähernd so erleichtert wie ich. Gott sei Dank, jetzt würde vielleicht endlich alles wieder normal werden – so »normal« wenigstens, wie die Dinge eben sein konnten, wenn man ein Halbengel war. »Es ist okay«, sagte ich zu Seb. »Sie ist jetzt wieder halbwegs beruhigt. Danke – vielen, vielen Dank.«
Sein Blick war warm. »Ich habe doch gar nichts gemacht. Aber das ist gut. Wenn sie zufrieden ist, dann gibt es kein Problem.«
Ich zog die Knie an die Brust. »Ich frage mich bloß, was das für eine Energie war, die ich gespürt habe. Sie war so stark -und kam einfach aus dem Nichts. So was ist dir wohl noch nie passiert, oder?«
»Nein, noch nie. Vielleicht war es ja nur … äh, mir fällt das Wort nicht ein.« Seb klopfte sich an die Stirn und sagte etwas auf Spanisch. Er sah frustriert aus.
Ich lächelte verhalten, während ich ihm zusah. »Soll ich Alex bitten, dass er für uns dolmetscht?«
Der Vorschlag, meinen Freund hier herunter zu holen, entlockte Seb einen ungläubigen Blick – als wolle er sagen: Soll das ein Witz sein? »Nein, wir können Alex nicht von seinem Unterricht abhalten«, sagte er mit einer so ernsthaften Stimme, dass ich ihm eine Sekunde lang beinahe geglaubt hätte. »Das wäre sehr selbstsüchtig von uns. Ich würde mich schrecklich schuldig fühlen.«
»Oh, na das wollen wir natürlich nicht.«
»Nein. Ich könnte vor lauter Schuldgefühlen kein Auge mehr zutun.« Seb richtete sich auf. »Das Wort, das ich suche – das ist, wenn etwas nur ein einziges Mal passiert, und dann nie wieder. Und wenn es passiert, dann ist man total überrascht. Kennst du das? Was ist das Wort dafür?«
»Ein Zufall?«
»Sí« Sein Lächeln brach hervor wie Sonnenlicht durch eine Wolkendecke. »Vielleicht war es ja nur ein Zufall. Ein merkwürdiger Zufall. Oder, ich weiß nicht – vielleicht war es auch so eine Mädchen -Halbengel-Sache.«
Bei » Mädchen -Halbengel-Sache« musste ich unwillkürlich an Alex’ Migräneanfälle denken, und an meine zweite große Angst der letzten Tage. Meine Hände verkrampften sich in meinem Schoß. Ich räusperte mich. »Sag mal, und was ist … und was ist mit der Bedrohung für andere Menschen?«, fragte ich. Die Worte wollten nicht herauskommen. »Die von uns ausgeht, meine ich.«
Sebs Augenbrauen zogen sich zusammen. »Ich glaube, ich verstehe nicht ganz …«
»Verursachen wir …« Ich holte tief Luft. »Verursachen wir das Angelburn-Syndrom, wenn wir andere Menschen berühren?«
Überraschung zeichnete sich auf seinen Zügen ab. »Du meinst, ob wir sie verletzen, so wie die Engel? Nicht, dass ich wüsste. Ich habe eine Menge Menschen berührt – ihre Hand gehalten, ihnen die Zukunft vorhergesagt – und ich glaube, das hätte ich gemerkt.«
»Ich weiß, ich habe auch vielen die Zukunft prophezeit«, sagte ich. »Aber ich habe mir Sorgen gemacht, dass es bei uns vielleicht anders ist. Die Engel müssen die Aura eines Menschen nur wenige Sekunden lang berühren. Bei uns kommt es möglicherweise darauf an, wie nahe wir jemandem kommen, also körperlich. Nahekommen … wie in einer Beziehung, meine ich.« Mein Gesicht glühte wie Feuer. Ich hoffte, dass er begriffen hatte, was ich meinte, denn ich wollte unter gar keinen Umständen noch deutlicher werden.
»Oh.« Seb rieb sich den Nacken. Ja, er hatte es kapiert. »Nein, das ist mir noch nie aufgefallen.«
Schlagartig wusste ich, dass er viel mehr Gelegenheit gehabt hatte, etwas zu bemerken, als ich, und ich spürte, wie mein Gesicht noch röter wurde. »Tut mir leid, ich wollte nicht …«
Er ließ die Hand sinken. »Schon okay«, sagte er, obwohl er immer noch ein wenig betreten aussah. »Ich erzähl dir alles, was du wissen willst.«
Ich versuchte, meine eigene Verlegenheit zu überwinden, und überlegte, wo ich anfangen sollte. Oder wie ich es überhaupt in Worte kleiden sollte. »Na ja … hast du jemals mitbekommen, dass eine von deinen Freundinnen krank geworden ist? Oder geschädigt wurde, wie von einem Engel?«
»Nein, niemals«, sagte er entschieden. »Ich hätte doch sonst nie im Leben ein Mädchen angerührt.«
»Und … waren es denn viele?«
Er schnitt eine Grimasse und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »So viele nun auch wieder nicht, aber …
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