Hueter der Daemmerung
meinen Engel traf, jagte durch meinen Schädel hindurch, bis ich meinte, er müsste zerspringen. Währenddessen kauerte ich mich an der Wand zusammen, ich ballte die Fäuste und schaffte es irgendwie, nicht das Bewusstsein zu verlieren. Meine Aufmerksamkeit war komplett auf meinen herumfliegenden Engel gerichtet. Das Konzil erkannte mich, natürlich, war aber zu abgelenkt, um auf mich oder Seb zu reagieren. Ich spürte ihren heillosen Schock über das, was passiert war, ihre ohnmächtige Wut. In über dreitausend Jahren hatte es niemand gewagt, sie anzugreifen.
Raziel war auch da. Logisch, wo sollte er wohl sonst sein? Dies war die Stunde seines Triumphs.
Er zögerte keine Sekunde, als mein Engel sich vor das letzte Mitglied des Konzils warf. Ich sah den kühlen Blick, mit dem er zielte. Die Kugel durchbohrte mich und ich merkte, wie ich dahintrieb. Fast hätte ich es nicht mehr zurück zu meiner menschlichen Gestalt geschafft, die an der Wand saß. Meine Fäuste öffneten sich langsam, als eine dunkle Flutwelle mich mit sich fortriss.
Dann war Seb da und hob mich hoch. Seb, es tut mir leid. Ich will, dass zwischen uns wieder alles so wird wie vorher, dachte ich. Doch ich schaffte es nicht, die Worte über die Lippen zu bringen. Ich klammerte mich an ihm fest, als die Welt um mich herum verschwamm und mir von Neuem entglitt. Undeutlich träumte ich, dass es eigentlich Alex war, der mich hielt. Seine Umarmung fühlte sich so real an, dass ich am liebsten die Zeit angehalten hätte.
Als ich wieder zu mir kam, schaute ich in den Himmel. Ich hörte entfernte Schreie und ein schabendes Geräusch. Mit schwerem Kopf setzte ich mich auf- und erblickte die Aussicht aus meinem Traum. Ganz Mexico City lag mir zu Füßen und erstreckte sich bis in die Unendlichkeit. Eine seltsame Stille lag in der Luft, als hielte die Welt selbst den Atem an. Meine Kopfhaut kribbelte. Die Wurzeln, die das Konzil hier geschlagen hatte, fühlten sich jetzt locker an, und gefährlich – wie die Leiber kopfloser Schlangen, die sich ruhelos durchs Erdreich wanden, das anfing, kleine Wellen zu schlagen.
Ich kämpfte mich in die Senkrechte – ich befand mich auf einem Hubschrauberlandeplatz. In der Nähe war eine Tür, vor die Alex, Seb, Sam und Liz gerade eine Art Metallteil geschleift hatten. Die Tür erzitterte rhythmisch in den Angeln, Gebrüll drang hindurch.
»Festhalten!«, schrie Alex. Selbst durch den Stoff seines Hemds konnte ich sehen, wie sich seine Muskeln spannten, als sie darum kämpften, die Barrikade an ihrem Platz zu halten.
Mir war immer noch schwindelig, als ich hinüberrannte, um ihnen zu helfen. Das Metallteil sah aus, als gehöre es zu einer gigantischen Klimaanlage. Ich warf mich dagegen und drückte. Neben mir stemmte Seb mit gesenktem Kopf die Hände gegen den Rand aus Metall, mit rutschenden Sohlen suchten seine Füße nach einem festen Stand. »Bist du okay?«, keuchte er atemlos.
»Ich glaube«, erwiderte ich matt. Alex warf mir einen Blick zu und ich bemerkte die tiefe Dankbarkeit in seinen Augen. Dann drehte er sich wortlos um, als das Metallteil über den Zement schrammte. Die Tür wurde ein paar Zentimeter weit aufgestoßen, bevor sie wieder zuknallte, weil wir mit aller Kraft dagegenhielten.
Abgerissene Schreie, wütende Gesichter, die kurz im Türspalt auftauchten.
»Oh Gott, wir können sie nicht aufhalten!« Liz’ Wangen waren rot vor Anstrengung. »Alex, was sollen wir bloß machen? Hier oben gibt es nirgends ein Versteck!«
»Knallt sie ab, einen nach dem anderen, sowie sie ihre Nase durch die Tür stecken«, grunzte Sam auf der anderen Seite neben mir. Seine Schultermuskeln traten prall hervor, so heftig legte er sich ins Zeug.
»Das funktioniert vielleicht für zwei Minuten«, rief Seb und hob die Stimme, um das Geschrei zu übertönen. Die Tür bebte und dröhnte. »Wie viele Patronen hast du denn noch?«
»Genügend, damit es ihnen richtig leidtun wird, dass sie uns hier rauf gefolgt sind«, versetzte Sam grimmig. »Ich werde bestimmt nicht kampflos den Löffel abgeben, so viel steht fest.«
»Ja, aber sie werden uns trotzdem kriegen«, sagte Liz verzweifelt. »Es sind einfach zu viele! Und Trish und Wesley …« Ein Schluchzen erstickte das Ende des Satzes. Ich hätte selber gern geweint. Trish, die alle so gern gehabt hatten. Wesley, der doch nur seine Familie hatte rächen wollen. Sollten wir jetzt etwa auf sie schießen?
Die Schreie wurden lauter, als die Tür beinahe einen halben Meter
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