Hüter der Flamme 01 - Die Welt des Meisters
flüsterte Walter so leise, daß Karl sich anstrengen mußte, um den Dieb bei seinem lauten Herzklopfen zu verstehen. »Er ist etwa hundert Schritt von der Stelle weg, wo der Tunnel ausläuft. Etwa zehn Uhr, wenn man mit dem Rücken zum Tunnel steht – kapiert?« Karl nickte wie alle anderen auch.
»Und der Drache schläft«, fuhr Walter fort. »Aber wir müssen direkt an ihm vorbei, um zum Tor zu gelangen. Ich weiß nicht, ob wir Ari brauchen, um es für uns in Betrieb zu setzen.« Fragend hob er die Augenbraue.
Der Magier schüttelte den Kopf. »Entweder stehen unsere Chancen schlecht, oder das Tor funktioniert automatisch, was ich annehme. Sieht es wie Wasser aus? Gut. Dann sind wir sicher.«
»Da ist noch ein Problem«, flüsterte der Dieb. »Es ist so wenig Platz, daß wir im Gänsemarsch gehen müssen – oder jeweils nur einer.«
Ahira rieb sich mit seinen plumpen Fingern die Schläfen. »Jeweils einer – Hakim zuerst.«
»Nein.« Karl schüttelte den Kopf und zeigte auf Andy-Andy. »Sie geht als erste, das ist … «
»Wir machen es so, wie ich gesagt habe!« zischte ihn der Zwerg an.
Na ja, irgendwie erschien es schon sinnvoll: Der Dieb konnte sich am besten lautlos bewegen. Karl nickte. »Aber sie kommt als nächste.« Ich habe sie in diese Sache hineingezogen; ich muß sehen, daß sie wieder rauskommt.
Der Zwerg zögerte einen Augenblick. »Einver standen. Dann Doria.«
Du denkst doch nicht klar, Ahira. Doria könnte sich leicht als Problem erweisen. »Nein, dann Ari.« Du und ich können Doria rausbringen, wenn es nötig sein sollte. Wir sind schließlich beide, jeder aus einem anderen Grund, für sie verantwortlich. Aber er konnte das nicht sagen, mußte es auch nicht tun. Wenn der Zwerg ein paar Sekunden nachdachte, würde er zum selben Schluß kommen.
Ahira seufzte. »Vielleicht hast du recht. Hakim, geh los!«
»Auf bald!« Walter wechselte einen kurzen Händedruck mit Karl, dann mit Aristobulus, und griff Andrea liebevoll unters Kinn. Sie wandte ruckartig den Kopf ab und faßte seine Hand.
»Sei bloß vorsichtig«, flüsterte sie. »Ich komme nach.«
Walter warf noch einen langen, langen Blick auf Dor ia und umarmte dann Ahira. Karl konnte Walters geflüsterte Worte nicht genau verstehen, nur die letzten beiden: »Bleib gesund.«
Der Dieb kroch weg. Dann erhob er sich lautlos auf die Ballen und verschwand um die Biegung.
Schweigen.
Ahira tippte Andy-Andy auf die Schulter. »Los.«
Karl lächelte. »Bis gleich.«
Ihr Kinn zitterte. Eine Haarsträhne hatte sich selbstständig gemacht und fiel ihr über die Nase.
Karl schob sie behutsam weg. »Geh jetzt.«
Sie nickte und ging.
Ahira winkte jetzt Aristobulus. »Mach dich fertig.«
Aristobulus begann, sich aufzurichten, hielt dann aber plötzlich inne. »Nein. Alle auf einmal.«
»Nein«, sagte der Zwerg und schüttelte den Kopf. »Du bist als nächster dran – Karl und ich werden uns um Doria kümmern.«
Aristobulus zuckte mit den Achseln und ließ sich wieder vorsichtig auf dem Boden nieder. Er bot den Anblick eines Musterbeispiels geheuchelter Unbe küm mertheit. »Ich warte.«
Wir sind alle reifer geworden, dachte Karl. Ich finde, daß er sich falsch verhält; aber es ist nicht aufgrund dieser verdammten Ichbezogenheit, die ich früher so an ihm gehaßt habe. »Keine Zeit zum Streiten.« Er griff nach dem Magier – und wurde plötzlich von Ahiras riesigen Pranken an den Handgelenken festgehalten. Der Mund des Zwergs zuckte. Er ließ Karls Hände los und breitete die Arme aus, als wollte er sagen: Was können wir schon machen?
»Na schön«, sagte der Zwerg und machte die Axt an seiner Brust bereit. »Im Gänsemarsch – zuerst Karl, dann du, dann Doria, dann ich.«
Der Magier nickte und stand auf.
Karl erhob sich schweigend, ebenso wie Aristobulus. Ahira redete Doria zu, auch aufzustehen. Unbeholfen und mürrisch tat sie es.
Karl übernahm die Führung und schlich auf Zehenspitzen um die Biegung …
… hinein in eine Helligkeit, die seinen Augen weh tat. Hinzu kam noch ein stiller, modriger Gestank, der in der Nase brannte. Es roch nach Alter, Grausamkeit und Haß … und Drachen.
Der Drache lag schlafend in der riesigen Kammer, einer Höhle, die von den schimmernden Regenbogenkristallen erleuchtet wurde, die überall an den Wänden saßen, welche sich in unfaßbarer Höhe über dem rauhen Felsboden wölbten. Das riesige Haupt der bösartigen Echse ruhte auf den übereinandergeschlagenen Vorderpfoten, die so dick
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