Hüter der Flamme 04 - Der Erbe der Macht
nun in die Gilde eintreten willst oder nicht, du solltest lernen, dich auf die Aufgaben zu konzentrieren, die vor dir liegen.«
Hervian kicherte. »Das mußt du gerade sagen, Gildebruder. Ich erinnere mich daran, wie du diesen Salke für Lord Lund kastrieren solltest.« Er stieß Jason freundschaftlich den Ellenbogen in die Rippen. »Seine Hand zitterte so sehr, daß er, statt dem Kerl nur die Eier abzuschneiden, den ganzen ...«
»Halt dein Schandmaul, Gildebruder«, zischte Vikat. »Willst du mich vor einem Außenseiter verspotten?«
Hervian entschuldigte sich mit einer heuchlerischen Geste und schwieg, um gleich darauf die Stirn zu runzeln. »Wir befinden uns doch noch nicht in der Nähe des Wachtpostens, oder?«
Jason folgte seinem Blick. Statt am Wasser entlangzuführen, schwenkten die Hufspuren landeinwärts und führten über einen ungefähr vierzig Meter breiten Streifen Sandstrand zwischen die ersten Bäume des Walddickichts.
Einer der Söldner machte Anstalten, ihnen im Dauerlauf zu folgen.
»Vorsichtig«, mahnte Hervian, nahm das Gewehr von der Schulter und hielt den Mann mit einer Handbewegung zurück. »Langsam und ruhig, keine unbedachte Hast. Überprüft eure Waffen.«
Die fünf Männer näherten sich geduckt dem Waldrand; Jason hielt sich ein wenig abseits, nur für den Fall. Gleich am Anfang des Waldes fanden sie die Pferde. Ohne Sattel und Zaumzeug, bis auf ein behelfsmäßiges Halfter, mit dem sie festgebunden waren, kauten sie gemächlich an einigen Farnwedeln am Fuß einer alten Eiche.
»Seht mal, da drüben«, sagte Jason.
In einiger Entfernung glaubte Jason eine Gestalt ausmachen zu können, aber es war nicht er.
Hervian drängte sich an ihm vorbei. »Nein.«
Mit blutleeren, im Tode fast gelben Gesichtern hingen die Sklavenjäger an einem Fußknöchel von einem kräftigen Ast. Allen beiden hatte man gleich unter dem Kinn die Kehle durchgeschnitten, sonst waren an ihnen keine Spuren von Gewalteinwirkung festzustellen.
Fliegen wimmelten um die Wunden und schwirrten über den geronnenen Blutlachen am Boden.
»Schneid sie ab, Taren«, ordnete Hervian mit zitternder Stimme an. »Schneid sie ab.«
Jason kletterte am Stamm hinauf, suchte Halt auf einem vertrauenerweckenden Zweig und durchtrennte mit dem Jagdmesser die Seile, während seine Kameraden die Leichen festhielten und dann sachte zu Boden gleiten ließen.
Jason sprang leichtfüßig von seinem luftigen Sitz, als Vikat ein Stück Pergament vorzeigte, das an einen nahen Baum gebunden worden war.
Der junge Sklavenhändler hielt das Blatt mit zitternden Händen, während er las; wortlos reichte er es an Hervian weiter, der die kurze Botschaft überflog und dann Jason übergab.
Die anscheinend mit Blut geschriebenen Zeilen besagten: »Ich weiß, daß Dir an einem Treffen mit mir gelegen ist, Ahrmin. Ich warte auf Dich.«
Keine Unterschrift.
Obwohl er gegen den Brechreiz ankämpfen mußte, hätte Jason beinahe gelächelt. Die toten Sklavenhändler genügten seinem Vater als Signet.
»Karl Cullinane«, sprach Hervian ihrer aller Gedanken aus. »Er ist schneller gekommen, als wir erwarteten. Traust du dir zu, auf einem ungesattelten Pferd mit dieser Nachricht ins Lager zurückzureiten, Taren? Nur für Meister Ahrmins Augen, auf meinen strikten Befehl als Gildegeselle, verstanden?«
»Verstanden.«
Doria machte sich neben dem großen Kochtopf an der windgeschützten Seite des Lagers zu schaffen, als Jason mit den Neuigkeiten eintraf.
Auf eine merkwürdige Art wurde die Truggestalt, hinter der sie sich verbarg, ein wenig fadenscheinig. Nicht etwa, daß die wirkliche Doria an einigen Stellen durchschimmerte. Im Gegenteil, ihr Bild von Enna, der alten, schlampigen, übergewichtigen Köchin war zu gleichbleibend: Ennas runzlige Haut färbte sich in der Sonne weder braun noch rot, das schüttere graue Haar wuchs weder, noch bleichte es aus, ihr abgetragenes Sackkleid blieb unverändert, obwohl es längst hätte auseinanderfallen müssen.
Das alles beunruhigte ihn, doch jetzt hatte er nicht die Zeit, mit ihr darüber zu sprechen; er mußte Ahrmin Bericht erstatten.
»Köchin!« rief er herrisch, während er vom Pferd rutschte und ihr die Zügel reichte. »Du kümmerst dich um das Tier.« Als sie ihm die Zügel abnahm, berührten sich für den Bruchteil einer Sekunde ihre Fingerspitzen, und es fühlte sich an, als ginge ein unsichtbarer Funke von ihm auf sie über.
Nicht einmal ihre Pupillen weiteten sich, aber sie nickte leicht, um
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