Hüter der Flamme 04 - Der Erbe der Macht
verschluckte ein boshaftes Kichern bei dem Gedanken an die Gruppe der Indeterministen an seinem College, und wie sie in seiner Lage wohl gehandelt hätten. Ihr Nicht-Staat hätte im günstigsten Falle knapp einen Zehntag überdauert, länger bestimmt nicht, bevor er in rauchende Trümmer gefallen wäre. Andererseits, einer dieser egozentrischen Bastarde hätte die Krone vielleicht gar nicht erst angenommen und damit einen blutigen Erbfolgestreit - inmitten eines noch blutigereren Krieges - verursacht.
Indeterministische Idioten sind überzeugt, daß das einzige Blut von Wert in ihren eigenen Adern fließt.
Die Sophistereien von Einfaltspinseln ...
Er schüttelte den Kopf und zwang sich, den Vorgängen im Gerichtssaal Aufmerksamkeit zu schenken.
Einige nicht sehr schwerwiegende Fälle aus der Umgebung hatte Thomen schnell vom Tisch. Mit dem Einverständnis der Geschworenen befahl er einem Geschirrmacher, die Schluderei an einem Kummet in Ordnung zu bringen, und bat einen Weinhändler wegen ordnungswidriger Müllbeseitigung zur Kasse; wies die Diebstahlsklage eines Schmiedes gegen den benachbarten Küfer mangels Beweisen zurück und entließ die beiden mit der Empfehlung, künftig gemeinsam Buch über die Eisenreifenvorräte des Küfers zu führen; schließlich verurteilte er einen zitternden Bauern wegen öffentlicher Trunkenheit unter Anrechnung der Untersuchungshaft zu einem zusätzlichen Tag im Kerker.
Karl war mit Thomens Vorgehen durchaus einverstanden, obwohl er den Bauern vielleicht hätte laufen lassen. Allerdings hegte er auch keine besondere Vorliebe für grölende Saufbrüder, die durch die Straßen zogen, während andere Leute zu schlafen versuchten. Schwere Entscheidung.
Als nächstes stand die Verurteilung des Wilderers an.
Der kleine Mann mit den huschenden Augen wurde in Ketten von zwei kräftigen Soldaten halb hereingeführt und halb getragen.
Karl neigte sich zur Seite und flüsterte: »Was hast du mit ihm vor, Thomen? Willst du ihm die heilige Gottesfurcht einjagen?«
»Nein.« Der Junge unterdrückte mühsam ein Lächeln. »Ich werde ihm die Furcht vor mir einjagen. Ich führe die Sache zu Ende.«
Er wandte sich an den Gefangenen und hob die Stimme. »Vernim ip Tyrnael«, begann er, »du bist schuldig befunden der Wilderei auf dem Besitz von Listar Lord Tyrnael. Zwölf zu Geschworenen berufene Männer deines Standes sind zu dem Schluß gekommen, daß weder du noch deine Familie unverhältnismäßig große Not zu leiden hatten; außerdem konnte ausreichend bewiesen werden, daß du den Baron keineswegs zum erstenmal bestohlen hast.«
Karl erinnerte sich an Ellegons Version dieses Falles. Vernim war einer von vielen Kleinbauern, deren Besitz gleich außerhalb von Myaryth lag, einer kleinen Stadt in Tyrnael, genau an der Grenze zu Baron Tyrnaels Jagdrevier.
Tyrnael war ein umgänglicher Zeitgenosse. Er hatte nichts gegen ein bißchen Kaninchen- oder Fasanenjagd auf seinem Land - ersteres förderte er sogar, damit sich die Kaninchen nicht allzusehr ausbreiteten. Doch Hochwild war selten - kein Wunder: Tyrnaels Jagdhüter hatte Beweise buchstäblich ausgegraben, daß Vernims Familie seit langer Zeit mindestens zehn Stück Wild pro Jahr aus dem Revier gestohlen hatte.
So besonders überraschend war das alles nicht, aber es mußte unterbunden werden. Die Schwierigkeiten ergaben sich aus der Tatsache, daß Wilderei auf fürstlichem oder prinzlichem Gebiet seit Menschengedenken mit dem Tode bestraft wurde, und Tyrnael hatte - höchstwahrscheinlich mit Absicht - Karl nicht gebeten, in Vernims Fall auf die Höchststrafe zu verzichten.
Keine angenehme Situation.
Tyrnael war ein treuer Verbündeter, und Karl hatte nicht die Absicht, dem Baron durch ein zu mildes Urteil einen Schlag ins Gesicht zu versetzen. Tatsächlich wäre Karl beinahe der Versuchung erlegen, die Augen zu schließen und dem Baron freie Hand zu lassen, hätte er nicht selber bestimmt, daß die Feudalgerichte die Todesstrafe ausschließlich für Mord verhängen durften.
Versuchung ... es war nicht recht, einen Mann dafür hinzurichten, daß er ein paar Rehe für seinen Kochtopf wilderte.
Vergehen und Strafe standen einfach in keinem Verhältnis zueinander. Karl war froh, daß Thomen sich entschieden hatte, den Mann nur in Angst und Schrecken zu versetzen.
»... und Tatsache ist, Vernim, daß du es verdientest, deine Tage auf einem spitzen Pfahl zappelnd zu beenden. Doch hat der Kaiser diese Art der Hinrichtung abgeschafft und
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