Hüter der Flamme 04 - Der Erbe der Macht
heranzutreten ...«
»Schlecht. Es würde aussehen, als wärst du derjenige, der bittet ...«
»Stimmt. Und wenn man mich nicht bittet?«
Thomen Furnael richtete sich kerzengerade auf. »Dann wird er hängen. Und es ist meine Schuld, Karl.« Wieder verfiel er in Nachsinnen. »Ich habe mich verschätzt, und Vernim ip Tyrnael bezahlt dafür mit dem Leben. Das ist nicht gerecht.«
Karl Cullinane nickte. Allerdings war es nicht gerecht. Doch ändern ließ sich auch nichts mehr. Das war der Lauf der Welt. »Eine kostspielige Lektion, nicht wahr, Thomen?«
Thomen Furnael wandte sich ab, seine Schultern bebten kaum merklich. »Ja, allerdings. Karl ... ich habe noch nie einen Menschen getötet.«
Es war etwas anderes, im Kampf zu töten. Brodelndes Adrenalin, tosende Angst, die Erleichterung des Überlebens, machten einen gewaltigen Unterschied ... vorläufig zumindest, bis einem in späteren Nächten die verzerrten Gesichter sterbender Männer erschienen, wie sie die Finger in Todeswunden krallten, die man ihnen zugefügt hatte, und einfach nicht zu glauben vermochten, daß die Reihe an sie gekommen war.
Es war etwas ganz anderes, den Tod eines Menschen zu befehlen.
Eventuell fiel ein solches Urteil leichter, wenn es sich um einen Mordfall handelte; die Vorstellung ›Auge um Auge, Zahn um Zahn‹ war nicht nur auf der anderen Seite verbreitet. Schreckte man nachts schweißgebadet hoch, konnte man sich mit dem Gedanken beruhigen, daß der Hinrichtungsbefehl vielen anderen Menschen das Leben gerettet hatte.
Karl hatte Sklavenjäger sowohl in der Hitze des Zorns wie auch kaltblütig getötet. Leute, die sich Eigentumsrechte über ihre Mitmenschen anmaßten, mußten aufgehalten werden und zwar auf eine Art und Weise, daß ihr Beispiel keine Nachahmer mehr fand.
Doch einen Mann zum Tod am Galgen zu verurteilen, weil er ein Stück Wild getötet und verspeist hatte? Es war nicht recht. Notwendig vielleicht, aber nicht recht. »Das Gefühl behagt dir nicht sehr, oder?«
»Nein.«
»So sei es«, flüsterte Karl Cullinane. So kam ein Todesurteil in Wahrheit zustande: mit einer geflüsterten Entscheidung. »Er stirbt. Laß es dir für das nächstemal eine Lehre sein.«
»Karl, ich hasse das. Ich ...«
»Gut.« Karl Cullinane richtete sich auf. »Laß es dabei.« Er legte Thomen beide Hände auf die Schultern. »Laß es dabei.«
Kapitel sechs
›Ein kleiner Vogel hat mir gesungen ...‹
Der weise Mann im Sturm bittet Gott nicht um die Erlösung aus der Gefahr; sondern um die Erlösung von der Furcht. Es ist der Sturm im Innern, der ihn bedroht, nicht der Sturm um ihn herum.
Ralph Waldo Emerson
Es sah nicht gut aus, urteilte Walter Slowotski, aber vielleicht auch nicht gar zu schlecht.
Man mußte damit rechnen, daß die Sache verdammt blutig wurde.
Aber noch nicht jetzt. Während sie in ihrem hastig zusammengebauten Ausguck im Geäst einer bejahrten Eiche kauerten, klopfte Slowotski Jason beruhigend den Arm. Gemeinsam schauten sie auf die Sklavenkarawane herab, die unten vorüberzog.
Die Sklavenjäger trieben sich und ihre Ware zu höchster Eile an, trotzdem kamen sie nur langsam vorwärts. Die Pferde mußten sich dem Tempo der langsamsten in der Reihe der an den Hälsen zusammengeketteten Sklaven anpassen - Menschen und Elfen aller Altersstufen und Geschlechter. Die Jüngsten und Schwächsten wurden von ihren Gefährten getragen.
Kein schöner Anblick; vor seinen Augen stolperte einer der Gefangenen, ein Junge von etwa acht oder neun Jahren, stürzte und wurde einige Meter weit mitgeschleift, bevor die zerlumpten Männer vor und hinter ihm Gelegenheit fanden, ihn aufzurichten. Kaum hatte er sich auf die Füße gequält, als die Peitsche eines berittenen Sklavenjägers durch die Luft schnellte und ihn mit einem gedämpften Schnalzen über die Schultern traf. Sein Aufschrei verebbte zu einem Wimmern, dem ein weiterer Schrei folgte, als der Aufseher ihm einen zweiten Hieb versetzte und ihn fluchend aufforderte weiterzumarschieren. Violette Striemen zogen sich über die Haut des Jungen.
Walter Slowotski krallte die Fingernägel in die Baumrinde. Die meiste Zeit zog er es vor zu vergessen, worum es hier eigentlich ging. Die meiste Zeit verbannte er solche Dinge wie einen ausgepeitschten neunjährigen Jungen aus seinem Gedächtnis.
Er wollte nicht daran erinnert werden; der Sklavenjäger mit der Peitsche würde dafür bezahlen müssen, daß er unliebsame Erinnerungen wachgerufen hatte. Es handelte sich um einen
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