Hüter der Flamme 04 - Der Erbe der Macht
sofortige und gründliche Vergeltung nach sich zog. Burg Keranahan bestand nur mehr aus einem Steinhaufen, und statt den Adel dieser Baronie kurzerhand hinrichten zu lassen oder des Landes zu verweisen, hatte Karl die hohen Herrschaften als warnendes Beispiel auf mehrere Burgen Holtuns verteilt, wo sie ein noch armseligeres Dasein fristeten, als seinerzeit die Angehörigen des Prinzen Pirondael selig. Von denen hatte Karl einige in weit abgelegenen Fürstentümern in Kost und Logis gegeben und andere schlicht verbannt.
Nicht so die Edelleute der Baronie Keranahan.
Keranahan mußte erobert werden; es war notwendig, an diesem rebellischen Fürstentum ein Exempel zu statuieren, andernfalls wäre Holtun nie zur Ruhe gekommen.
Vielleicht war es unangenehm für, sagen wir, Lord Hilewan, den Rest seines Lebens mit dem Ausmisten von Ställen hinzubringen, doch sein Schicksal würde vielen anderen eine Lehre sein.
Und darauf kam es an.
Als Karl den Thronsaal betrat, stieß der Büttel den Schaft seiner Hellebarde mehrmals vernehmlich auf den Steinboden, und als hätte jemand den Stecker des Lautsprechers herausgezogen, breitete sich unter den dreihundert Anwesenden - Richter, Verteidiger, Kläger - völliges Stillschweigen aus.
Lord Kirling, ein kleiner Edelmann aus der Baronie Tyrnael, erhob sich zu einer formvollendeten, wenn auch etwas beiläufig wirkenden Verneigung. »Seid gegrüßt, Euer Hoheit.«
Von den anderen stand keiner auf; Karl hatte durchzusetzen vermocht, daß die Bürger sich in Gegenwart des Kaisers nicht zu erheben brauchten; das zählte zu den ausschließlich dem Adel auferlegten Pflichten.
»Seid gegrüßt, Lord Kirling. Guten Morgen zusammen.«
Von seinem Platz auf dem Kaiserthron grüßte Thomen Baron Furnael ihn mit einem Kopfnicken, die Hände in seinem schwarzen Gewand verborgen. Sein Verhalten beruhte auf einer Feinheit der Etikette, die man dem Jungen - Junge, ha; Thomen war volle zwanzig Jahre alt - nicht eigens hatte erklären müssen: Das Richteramt durfte, laut kaiserlichem Erlaß, ausschließlich von Bürgerlichen ausgeübt werden; saß also ein Mitglied des Adels auf dem Richterstuhl, galt er solange als Bürgerlicher.
Thomen schlüpfte bereitwillig in diese Rolle, gelegentlich fügte er mit halblauter Stimme sogar eine zusätzliche Silbe zwischen seinen Vor- und Zunamen ein, zum Beispiel nannte er sich Thomen ip Furnael - Thomen aus Furnael - oder auch schlicht Thomen ahv Restaveth - Thomen der Richter - als wäre er tatsächlich ein Bürgerlicher, dessen Nachname gewöhnlich Auskunft über seine Herkunft oder seinen Beruf gab - zumindest wurde es in den Mittelländern so gehalten.
»Euer Ehren«, grüßte Karl Cullinane, »ich wünsche Euch einen guten Morgen.«
»Hoheit«, erwiderte Thomen, dessen ruhige schiefergraue Augen den Eindruck erweckten, daß ihnen nichts entging, »guten Morgen.« In formellem Ton fuhr er fort: »Ich bitte Euch, meinen Platz hier einzunehmen, auf daß Eure größere Weisheit über diesem Gerichtstag leuchte, und ich von Euch lerne.«
Karl Cullinane schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wäre meine Weisheit in diesen Belangen der Euren überlegen, so würde ich hier der Richter sein, nicht Ihr.«
Wie der verhältnismäßig neue Brauch verlangte, deutete Thomen erneut auf den minderen Thron. »Dann bitte ich Euch, hier Platz zu nehmen, auf daß ich Euch erleuchte«, sagte er, mit der Andeutung eines Augenzwinkerns.
Karl verneigte sich knapp. »Ich danke für die Einladung. Mit Eurer Erlaubnis?«
Auf das Kopfnicken des Jungen hin schritt Karl langsam zu der Empore, drehte sich um und nahm auf dem kleineren Thronsessel Platz, bevor er den Raum und die Anwesenden genauer betrachtete.
Drüben in der Geschworenenbank malten sich auf den zwölf schweißglänzenden Gesichtern Verwirrung und Schreck; das vor fünf Jahren eingeführte Ritual zeigte immer noch Wirkung. Es war etwas anderes, nur davon zu hören, daß ihr Herrscher sich vor einem - wenn auch nur vorgeblichen - Bürgerlichen demütigte, als es mit eigenen Augen zu sehen.
Karl plante für die Zukunft. Eine konstitutionelle Monarchie stellte gegenüber dem Absolutismus eine Verbesserung dar. Die Herrschaft des Gesetzes, selbst eines guten Gesetzes, war noch immer keine ideale Situation, doch in vielfacher Hinsicht sicherer, als die von keiner höheren Instanz kontrollierte Herrschaft eines Einzelnen, und in jedem Fall stabiler und sicherer als Anarchie.
Anarchie. Er
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