Hüter der Flamme 04 - Der Erbe der Macht
Mißtrauen erregen könnte; in fast jeder Schmiede wurde versucht, die Arbeit des Meisters nachzuahmen, auch wenn sich mit dem eigenen, minderwertigen Stahl nicht die gleiche Starke und Schärfe erzielen ließ, oder man aus importiertem Woss nicht ganz die berühmte feine Schneide zu ziehen vermochte.
»Und jetzt«, verkündete der Türhüter und klopfte in einem bestimmten Rhythmus gegen die Eichentür, »sollte man drinnen bereit sein, dich zu empfangen.«
Er wußte nicht genau, was er eigentlich erwartet hatte, doch die Wirklichkeit stimmte keinesfalls damit überein.
Zwar entsprach das Zimmer in etwa seinen Vorstellungen: Es war sehr hoch und sehr geräumig, und er versank schon beim ersten Schritt bis zu den Knöcheln im Flor eines karmesinroten Teppichs. In eine Wand waren große Fenster eingelassen und durch das Glas - weit klarer und mit viel weniger Einschlüssen als die beste Ware, deren Heim und Holtun-Bieme sich rühmen konnten - erblickte er den Innenhof und die mächtige Eiche, die er schon durch eine Toreinfahrt gesehen hatte.
Die andere Wand bedeckte ein verblaßter Gobelin. Oder vielleicht handelte es sich gar nicht um einen wirklichen Gobelin; die endlose Reihe draller junger Frauen, die in Ketten vor muskelstrotzenden, peitschenbewehrten Männern knieten, ließen eine Art Stoffdruck vermuten.
Jason fühlte sich von den beiden Leibwächtern links und rechts des hochlehnigen Polsterstuhls beeindruckt. Selbst der etwas kleinere überragte Karl um etliches, sie waren von Kopf bis Fuß gepanzert, und jeder hielt mit sichtbarem Selbstvertrauen einen kurzen Kampfspeer in der Hand.
Jason war nicht überrascht, daß Ahrmin sich von Leibwächtern beschützen ließ - sonst wäre es für einen von Karl gesandten Meuchelmörder gar zu einfach gewesen, zu ihm vorzudringen.
Auf dem bequemen Stuhl zwischen den beiden Hünen saß ein kleiner Mann in einem dunklen Gewand von der Machart, wie es die Sklavenhändler trugen.
Natürlich sah er abstoßend aus. Was Jason von der abgewandten Gesichtshälfte zu erkennen vermochte, war eine verwüstete braune Masse; die narbige Öffnung in der rechten Wange enthüllte lückenhafte gelbe Zähne und verbranntes Fleisch. Die krallenartige rechte Hand wurde zum größten Teil von den Falten des Gewandes verborgen.
Doch Jason hatte mehr erwartet, als einen verstümmelten kleinen Mann auf einem großen Stuhl. Nach allem, was er über Ahrmin gehört hatte - von ihm, von Tennetty, von Valeran, von Mutter -, hatte er damit gerechnet, ihn von einer Aura des Bösen umgeben vorzufinden.
Nichts dergleichen. »Taren ip Therranj?« fragte Ahrmin nach einem Blick auf das Blatt Papier in seiner Hand. »Schwertkämpfer, steht hier.«
Jason nickte. »Das bin ich.«
»Gut. Du bist bereit, gegen gute Bezahlung ein gewisses Risiko auf dich zu nehmen?«
»Ja.«
Ahrmin nickte und wandte sich an den Leibwächter zu seiner Linken. »Fenrius, der Mann gefällt mir.«
»Vergebung, Meister Ahrmin«, erwiderte der Hüne, »aber wir haben erst die Hälfte der Leute eingestellt, die wir brauchen, und der Tag ist schon weit fortgeschritten. Es fehlen noch ein Koch und zumindest ein weiterer ...«
»Ja, ja, es ist nur, daß ich früher ein Schwertkämpfer war, in meiner Jugend. Ich unterhalte mich gern mit solchen Leuten.« Er gab Jason ein Zeichen. »Laß mich etwas von deiner Kunst sehen.«
»Ich kämpfe mit zwei Klingen. Der Posten draußen hat mir den Dolch abgenommen.«
»Du kannst ja so tun, als hättest du die zweite Klinge hier. Und wir haben nicht den ganzen Tag Zeit, wie Fenrius so richtig bemerkte.«
Jason zog mit der rechten Hand das Schwert und gab vor, mit der linken den Dolch zu greifen.
Er versuchte, seinen Kampf mit Kyreen nachzuvollziehen, mit einigen geringfügigen Verbesserungen: Jason parierte einen imaginären Angriff, doch das Fehlen einer gegnerischen Klinge brachte ihn aus dem Konzept. Dennoch trug er einen Angriff über die hohe Linie vor und ließ einen Bindungsstoß folgen, bis er und sein nicht vorhandener Gegner sich Brust an Brust gegenüberstanden.
Diesmal beging er keinen Fehler: Er blockierte den Dolch des Feindes mit dem Schwertarm, faßte sein Messer mit der Klinge nach oben und führte einen Stoß, der seinen Gegner, sofern vorhanden, von der Hüfte bis zum Brustkorb aufgeschlitzt hätte.
Aus dem Augenwinkel bemerkte Jason, wie Fenrius und sein Kamerad kaum merklich ihre Stellung veränderten. Während des vorgetäuschten Duells war Jason in Ahrmins
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