Hüter der Flamme 04 - Der Erbe der Macht
spreizen.«
Tennetty nickte. »Schlau. Sehr schlau. Was tun wir jetzt?«
Diese neue Entwicklung warf alle ihre Pläne über den Haufen. Sie konnten umkehren und sich an der Suche nach Jason beteiligen, doch es waren so viele Suchtrupps unterwegs, daß man sie eigentlich nicht brauchte.
Jede Chance, die Sklavenjäger aufzuhalten oder ihr Unternehmen zu sabotieren, hatte sich mit der Abreise von Ahrmin und seinen Männern in Luft aufgelöst. Außer, sie nahmen die Verfolgung auf.
Walter stieg wieder auf den Kutschbock. »Wir werden ein schnelles Schiff finden müssen, das nach Melawei ausläuft.«
»Ob sie schon Bescheid wissen oder nicht«, sagte Tennetty und prüfte die Schneide eines Messers, das Walter sie nicht hatte ziehen sehen, dessen Vorhandensein er nicht einmal ahnte.
Der Zwerg blinzelte in die untergehende Sonne. »Na, heute kommen wir hier nicht mehr weg. Treffen wir uns also mit unseren jungen Freunden.«
Aeia und Bren Adahan erwarteten sie auf dem Platz der Delphine.
Walter seufzte. Manche Dinge schienen mit den Jahren besser zu werden. Manche Dinge wurden tatsächlich besser mit den Jahren. Und an manchen Dingen wurde herumgebessert, bis sie all ihren Zauber verloren hatten.
Der Delphinbrunnen gehörte zur letzteren Kategorie.
Ursprünglich bildete ein herrliches Paar wasserspeiender Delphine aus Marmor den Mittelpunkt des Brunnens, dessen Fontänen sich im Wind zu glitzernden Schleiern bauschten, bevor sie in das Becken niederfielen. Der weiße, dunkelgeäderte Marmor mit seinen schlichten, doch eleganten Linien hatte in der Sonne geschimmert, der in seine Richtung gewehte Wassernebel erfrischte ihn, als er damals auf dem Platz stand und die beiden lächelnden Statuen betrachtete, die ihm weit eher mitten im Sprung erstarrte Delphine zu sein schienen als kalter Stein.
In der Zwischenzeit hatte irgendein unseliger Verbrecher die Statuen vergoldet, vermutlich derselbe Ignorant von einem Bildhauer ohne Feuer in den Adern, der Miniaturdarstellungen der Delphine in die Einfassung des Brunnens gemeißelt hatte, ein armseliges Halbrelief-Fries, das an springende Elritzen erinnerte.
Der Brunnen war zu einer Karikatur seiner selbst verkommen. Walter hätte weinen mögen.
»Hast du jemals so etwas gesehen?« fragte Aeia und lächelte zu ihm auf. »Ist er nicht herrlich?«
»Nein, hab' ich nicht«, antwortete Walter ausdruckslos. »Ein unvergleichliches Kunstwerk.«
»Ich habe eine Unterkunft für uns gefunden«, verkündete Bren Adahan. »Eine Zimmerflucht im Gasthaus ›Zur Sanften Ruhe‹.«
»Ich dachte, ich hätte mich deutlich ausgedrückt«, tadelte Ahira. »Tommallo kennt uns.«
Bren Adahan schaute unerträglich selbstzufrieden drein. »Bedenkt doch einmal, wie lange das her ist, daß ihr bei ihm gewohnt habt, Tommallo hat das Haus längst verkauft. Ich gab mich als Sohn von Vertum dem Stallbesitzer aus und verlangte dieselben Zimmer, die er vor zehn Jahren gemietet hatte. Der Eigentümer zuckte nur die Schultern und gab zu, daß er von dem alten Personal niemanden mehr beschäftigte. Also hast du deinen Willen bekommen, Walter Slowotski«, schloß er, zu Walter gewandt. »Du schuldest mir einen Gefallen.«
Das Gasthaus zur Sanften Ruhe war nicht mehr so, wie Walter es in Erinnerung hatte. Vielleicht lag es daran, daß die Farben der Wandbehänge verblaßt waren; vielleicht auch daran, daß die Speisen nicht mit der gleichen Sorgfalt zubereitet wurden, die der dicke, fröhliche Tommallo in seiner Küche hatte walten lassen. Die Gerichte waren sättigend, aber das Rindfleisch war zerkocht und sehnig, die Käferpaste zu süß und der Fisch schmeckte, als hätte man ihn in ranzigem Schmalz mariniert, statt in frischer Butter gebraten.
Der Teppich in ihrem Zimmer war an mehreren Stellen durchgescheuert, und der rauhe Marmor darunter bohrte sich kalt in seine Fußsohlen.
Na, dafür kostete es weniger als bei ihrem letzten Aufenthalt. Und zumindest das Badewasser war heiß.
Während er sich abtrocknete, schlenderte Walter in das gemeinsame Wohnzimmer hinüber, wo Ahira und Tennetty sich auf dem Boden ausgestreckt hatten und miteinander redeten, während sie an Tennettys Sklavinnenkostüm arbeiteten. Das zerlumpte Hemd lenkte die Aufmerksamkeit auf ihre langen, knochigen Beine, statt auf den Halsreif und die Handschellen mit dem solide scheinenden Schloß, die sie in Wirklichkeit binnen einer Sekunde abstreifen konnte. Der Verschluß an dem Halsreif bestand tatsächlich aus einem kleinen
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