Hüter der Flamme 06 - Die Straße nach Ehvenor
Glatze hinauf rot angelaufen, so daß ich schon befürchtete, daß er jeden Augenblick platzen könnte. Dabei pulsierte das Zucken in seiner Wange bestimmt zweimal die Sekunde, wie nach einem Hundertmeterlauf. Ich schwöre, als er sich über mich beugte, machte ich mir mehr Sorgen um ihn als um mich.
»Walter ...«, er nannte mich sonst immer Grille, außer wenn er sich über mich ärgerte. Und diesmal war er echt wütend.
Doch dann riß er mich in seine riesigen Arme. Ich konnte den Whisky in seinem Atem riechen. Ein dröhnendes Lachen schüttelte mich, aber es war sein Lachen.
»Mein Gott, Grille, der alte Drache hat es wirklich verdient, daß du ihr die Schuhe am Fußboden festgenagelt hast.«
Ich glaube, seitdem hat mich keine Whiskyfahne mehr gestört.
Ich striegelte gerade die Stute, als ich Brens Schritte hinter mir hörte. Die Striegelställe auf Schloß Furnael - nein, ich meine eigentlich Schloß Cullinane - sind sinnvoll eingerichtet. In ihrer Mitte steht jeweils eine niedrige, oben offene Holzbox, die einem bis zur Wade reicht. Das ist deswegen günstig, weil man so das Pferd in diese Box stellen kann, um es daran zu hindern, herumzulaufen oder einem einen Tritt zu verpassen.
Ich hatte keine Angst davor, getreten zu werden. Eigentlich gab es überhaupt keinen richtigen Grund, sich über irgend etwas Sorgen zu machen, oder etwa nicht? Einer der Stalljungen und zwei der Soldaten der Kavallerie hielten sich draußen vor der Tür auf. Sie beschlugen einen störrischen Wallach. Der zweite Stalljunge arbeitete auf der anderen Seite des Ganges an Jasons Pferd, während die Hofwache sich in Rufweite befand. Wenn es denn Probleme geben sollte, dann bestimmt nicht hier.
Nebenbei bemerkt, Bren Adahan würde hier wohl kaum auftauchen, um mir Probleme zu bereiten, oder?
»Hallo, Baron«, sagte ich, während ich mich langsam umdrehte, wobei meine Hand auf der brusthohen Zwischenwand ruhte, die zwei der Striegelboxen voneinander trennte. Das ist ein Reflex aus meinen ersten Tagen auf Dieser Seite. Stets halte ich nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau. Dazu hatte ich auch immer einen Grund. Zwar gab es nicht immer einen Ort, wo ich hinfliehen konnte - das spielt auch keine Rolle - , aber ich halte immer nach einem Ausschau. »Wo hast du denn gesteckt?«
»Fast überall, Walter Slowotski«, sagte er. »Ich verbrachte den Morgen auf zweien der Pachtgüter. Dann bin ich zurückgekehrt und habe den Tierbestand des Anwesens überprüft. Danach kamen die Hundezwinger an die Reihe und nun bin ich hier.«
»Den Tierbestand des Barons inspiziert?« Ein guter Einfall und etwas, an das ich auch hätte denken können. Doch ich neigte dazu, nur das Gemäuer des Bergfrieds als Jasons neues Heim zu betrachten. Obwohl zu dem Schloß ebenso der Haushalt gehörte und der riesige Haufen Land, auf den man es gesetzt hatte. Außerdem zählte auch das Vieh dazu, das in einigen Kilometern Entfernung, hinten bei dem Weideland, in einigen Gehöften untergebracht war und versorgt wurde.
»Irgend jemand muß sich ja darum kümmern«, bemerkte er. Heute bestand seine Kleidung ganz aus Leder - ein heller, beinahe schneeweißer Uniformrock sowie enge Hosen aus Rehleder. Dies wurde noch unterstrichen durch eine Spange aus Hirschhorn, die das Haar zurückhielt, das sonst über sein rechtes Ohr gefallen wäre.
Sehr stilvoll, aber dann doch wieder typisch Bren. Baron Adahan legte viel Wert auf ein elegantes Aussehen. Ich selbst ziehe eher haltbare Sachen vor. Nein, das war eben unfair von mir. Ich bin mit ihm draußen in den Feldern gewesen. Dort hat er sich genauso angestrengt und schmutzig gemacht wie jeder andere auch. Ein tüchtiger Mann, den man gern im Kampf in seinem Rücken weiß. Jason und ich wußten das aus Erfahrung.
Vielleicht nur um mich daran zu erinnern, trug er einen sehr einfachen ledernen Waffengürtel mit seinem Kurzschwert zur Linken und dem Dolch und der Steinschloßpistole zur Rechten.
»Hast du einen Moment Zeit für mich?« fragte er.
»Für dich, Baron, habe ich immer Zeit«, sagte ich, ohne es wirklich zu meinen.
Er lächelte, als wenn keinerlei Falschheit in seiner Stimme gewesen wäre, oder gar in meiner. »Ich werde morgen abreisen. Es gibt Angelegenheiten in meiner Baronie, die nur ich selbst erledigen kann.«
»Little Pittsburgh?« bemerkte ich, denn in der Stahlstadt war immer etwas los.
»Ja. Nicht nur deswegen, aber trotzdem, ja.« Er nickte, und dann, ohne ersichtlichen Grund, geschah es: wir waren
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