Hüter der Flamme 06 - Die Straße nach Ehvenor
hatte. Wie sich schließlich herausstellte, hätten die Guten meinen Kopf auf einen Pfahl gesteckt, wohingegen die Bösen einen Topf voller Gold mit mir teilen wollten.
Die Straße schlängelte sich auf unebenem Grund durch den Sumpf, wobei sie die natürlichen Hügelkuppen nutzte, die an jenen Stellen, wo sie fehlten, künstlich aufgeschüttet worden waren. Rechts und links fiel der Boden ab, und durch Rankgewächse und Schlingpflanzen sah man auf einen undurchdringlichen Morast voller Zypressen und Weiden. Das Ganze war in unregelmäßigen Abständen von kleinen offenen Wasserflächen und gelegentlich einer matschigen Wiese unterbrochen.
Der gemeine Eichelhäher - es gibt dort keine anderen Vogelarten - thronte da und dort in einem emporragenden Baum. Entweder verhöhnte er uns, oder er schimpfte uns aus, oder er tat beides. Hin und wieder hörte ich das Geräusch von etwas Schleichendem auf toten Blättern. Eigentlich hätte der Sumpf vor Leben strotzen sollen, doch die meisten Tiere hatten gelernt, dem Menschen auszuweichen, und auch bei unserem Quintett würden sie keine Ausnahme machen, nur weil einer von uns ein Zwerg war.
Aber es gab doch ein paar Ausnahmen. An einer Stelle schlängelte sich die Straße in Haarnadelkurven den Küstenabhang hinunter, und die letze Kurve eröffnete die Sicht auf einen kleinen See, der vielleicht eine Meile breit war und von Binsen und Rohrkolben umsäumt wurde. Ein kleines Reh hatte am Ufer getrunken, und als wir auftauchten, hob es den Kopf und starrte uns mit riesigen Augen an. Dann verschwand es mit raschen Sprüngen im Gebüsch und scheuchte dabei einen Schwarm von Schwänen aus ihrer Deckung auf, die mit klatschenden Flügeln davonflogen.
Tennetty, die immer auf Beute aus war - oder zumindest die Gelegenheit suchte, etwas töten zu können - , legte die gespannte Armbrust an, drückte aber nicht ab. Ich vermute, daß sie keinen guten Schuß anbringen konnte, und eine Armbrust hat keine große Stoppwirkung. Wenn man einen Hirsch nicht geradewegs ins Rückgrat, Herz oder (was viel wahrscheinlicher ist) in die Lungen trifft, kann man sich auf eine lange Jagd gefaßt machen.
»Soviel zum Thema Abendessen«, sagte sie.
In dieser Nacht lagerten wir neben der Straße. Wir zogen es vor, Hängematten zwischen nahestehenden Bäume zu spannen, als uns dem Boden anzuvertrauen. Schon wegen der Schlangen und was da noch so alles rumkreuchte.
Selbst ich hätte es nicht geschafft, mich leise durch das Unterholz anzuschleichen, und da die Straße ungefähr fünfhundert Meter in beide Richtungen geradlinig verlief, entzündeten wir ein Kochfeuer und entspannten uns, zumal wir wußten, daß wir jeden, der sich uns näherte, frühzeitig sehen würden.
Jason übernahm die erste Wache, und Ahira setzte sich zu ihm. Der Junge starrte nervös ins Feuer, während der Zwerg die Leder- und Draht umwicklung am Griff seiner Axt erneuerte. Ich konnte noch nicht einschlafen, also errichtete ich mir vor meinem Sattel ein Polster aus Decken und setzte mich darauf, um meinen Dolch zu schärfen. Es ist schon hart, wenn das eigene Messer eine so lange Schneide hat.
Tennettys Augen sahen müde aus, als sie sich zu uns Dreien setzte. Sie hatte sich eine braune Decke um die Schulter gelegt.
Ich sah zu ihr auf. »Du siehst müde aus.«
Sie nickte und legte eine gefaltete Decke neben mir auf den Boden. Dann nahm sie im Schneidersitz darauf Platz und kuschelte sich in ihre Schlafdecke.
»Ich bin auch müde«, sagte sie. »Ich glaube, einfach etwas zu überanstrengt.« Sie starrte in die Dunkelheit, als ob sie damit rechnete, daß etwas daraus hervorspringen würde; dann schüttelte sie den Kopf. »Das kommt manchmal vor.«
Sie sah zu erschöpft aus, um aufrecht sitzen zu können, deshalb rutschte ich ein bißchen und ließ sie meinen Sattel als Rückenstütze benutzen. Sie schenkte mir ein schnelles Tennetty-Lächeln - die Lippen flach aufeinandergepreßt und die Enden leicht nach oben gezogen - und lehnte sich sowohl gegen den Sattel wie auch gegen mich. Ich konnte die Wärme ihres Körpers durch die Decke spüren und erkannte, daß ich schon viel zu lange nicht mehr mit einer Frau zusammengewesen war.
Trotzdem glaube ich, daß es mir die liebsten Momente sind, wenn ich auf der Straße bin - am Ende eines Tages, wenn es nichts mehr zu tun gibt, als sich am Feuer zusammenzusetzen und zu unterhalten, bis einen die Müdigkeit in die Betten oder was auch immer treibt.
Tennettys Arme waren unter der
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