Hüter der Flamme 06 - Die Straße nach Ehvenor
ich mit hinauskommen würde, um mit ihm und einigen Freunden in einer E-Jolle zu segeln. Es handelte sich dabei um ein Einmaster-Rennboot mit Kimmkiel. Schnell und schön sah es aus, wenn es über den See glitt. Aber wenn man es nicht ganz richtig handhabte, konnte es bei einer Windbö leicht kentern. Die Camp-Regeln schrieben vor, daß ein Erwachsener dabei sein mußte, obwohl alle fünf Jungen erfahrene Seeleute waren. Ich wurde für erwachsen befunden, obwohl ich zu der Zeit gerade erst neunzehn Jahre alt war.
Das Ganze war höchst seltsam. Mickey, der Junge, der eigentlich verantwortlich war, sprach mich sehr förmlich an: »Skipper, ich glaube, wir sollten klarmachen zum Beidrehen.«
Ich bestätigte: »Klar zum Beidrehen.« Und dann würden sie die Backspieren beibändseln oder die Warpanker im Süll vertäuen, oder was immer gerade getan werden mußte. Dann warteten sie darauf, daß ich auf Mickeys Nicken mit ›Beidrehen‹ antwortete.
Was sie aber nicht leiden konnten, war, wenn ich Scherze mit ihnen machte: »Landratten hissen und Luken schließen.«
Keinen Sinn für Humor.
Besonders dann, wenn ich sagte: »Klarmachen zum Entern.«
»Die Sache ist die«, sagte mein neuer Freund und hatte seinen dicken Arm um meine Schulter gelegt, »daß die Wasserkobold zwar so aussehen mag wie der langsamste Kahn auf dem Zirrischen See ...«, eigentlich sagte er ›Schirrischen See‹, aber man verstand, was er sagen wollte, » ... und sie mag stinken wie die allerletzte Entschuldigung für eine schwimmende Jauchegrube, die sogar das Dreckwasser, in dem sie schwimmt, noch beleidigt. Es mag auch sein, daß sie von dem dümmsten Mann, der es eben riskiert, über Bord zu fallen und die Fische zu vergiften, gesteuert werden kann, aber wenn du dich erst einmal an ihre Eigenschaften gewöhnt hast, wirst du erkennen, daß es noch viel schlimmer ist. Willste noch 'n Bier?«
Es war ein breiter, dicker Mann mit einem krausen Seemannsbart, der sich von beiden Wangen über den Nacken bis hinunter zur Brust ausbreitete. Abgesehen von dem Bart wirkte sein Gesicht im Licht der Kerzen verschwitzt und schmuddelig. Wachs tropfte auf die schmutzige Oberfläche des grob behauenen Tischs. Geistesabwesend zerdrückte er mit dem Daumen einen Käfer und nahm noch einen Schluck Bier. Seine Hand ruhte auf meinem Knie.
Ich befürchtete schon, daß er jetzt einen langen, trunkenen Monolog vom Stapel lassen wollte, so wie Betrunkene das oft tun, deshalb kam ich ihm zuvor und machte einen Vorschlag.
»So«, sagte ich und schwankte im gleichen Takt mit ihm, »du denkst also, ich sollte nicht daran denken, einen Gedanken daran zu verschwenden, zu unterschreiben.« Mein Lallen war schlimmer als seins, aber nicht viel schlimmer.
»Welen, mein Liebster ...« Er hob den Finger. Wahrscheinlich versuchte er, auf etwas zu zeigen. »Ich glaube, du bist verrückt, wenn du dich mit dem Gedanken beschäftigst, die Idee zu haben, an die Unterschrift zu denken, äh.«
»Ach, so schlimm wie all das kann es nicht sein. Das siehst du doch auch so, nicht?«
»Nein, das kann es nicht. Ich durchschaue dich genau, Welen, und glaube ja nicht, daß ich es nicht tue. Ich weiß, worauf du aus bist.«
Ich zwang mich zu einem warmen Lächeln. »Oh, das tust du, wirklich?« Ich sah nicht zur Tür, aber mit ein bißchen Glück könnte ich es schon schaffen, mit einem Schritt, einem Satz und einem Sp rung in die Nacht hinauszugelan gen.
»Denk bloß nicht, daß ich es nicht tue. Hast wohl zu lange eher Dreck als ein Deck unter den Füßen gehabt, wie? Das wird sich zeigen, Mann das wird sich zeigen. Ein Mann muß essen und trinken, oder? Und ein Seemann muß zur See fahren. Ich habe keinen Zweifel daran, hübscher Welen, aber du kannst was Besseres haben als die Wasserkobold. Das wollte ich dir nur sagen, außer, daß ich noch hinzufügen möchte, daß du es nicht noch schlimmer machen kannst.«
Er erhob sich schwankend wie ein neugeborenes Füllen. »Keine Gelegenheit ist so günstig wie die jetzige. Laß mich diese eine Sache noch zu Ende bringen, und wir sind damit durch. He, Tonen, Rufol - ich verschwinde. Seid ihr für oder gegen mich? Beim Großen Fisch, ihr könnt euch darauf verlassen, daß ihr den Weg nicht allein zurückfinden werdet. Ich glaube nämlich, ihr seid betrunken, ihr alle beide, ihr seid beide besoffen.«
»Besoffen? Wir? Nein, das sind wir nicht. Wir haben nur ein bißchen über 'n Durst getrunken«, sagte ein Seemann, während er und der
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