Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
wirr im Gesicht. Unter normalen Umständen hätte der Anblick dieser hübschen Frau dem Beamten, der als Erster erschien, den Atem geraubt, wäre da nicht noch die Leiche eines älteren Mannes gewesen. Er lag in einer Blutlache – und ein großes Loch klaffte in seinem Bauch. Die Augen waren weit aufgerissen, und beide Beine lagen sonderbar verdreht.
Der Staatsdiener schaute sich im Raum um, wurde der geöffneten Vitrine und des fehlenden Ausstellungsstücks gewahr, betrachtete die Leiche und wandte sich betroffen von ihr ab. Raubmord, schoss es durch seinen Kopf. Er wandte sich der jungen Frau zu und kniete sich neben sie. Die Stirn kräuselnd betrachtete er die Platzwunde an ihrer Stirn und berührte sie behutsam am Kopf. »Das müssen sie von einem Arzt behandeln lassen. Keine Sorge. Das wird heutzutage geklammert. Da bleiben bestimmt keine Narben zurück.«
Inspektor Falkner konnte den Blick nicht von den Blessuren der jungen Frau lösen. In ihrer Hilflosigkeit und mit der blutenden Wunde am Kopf wirkte sie auf ihn noch beschützenswürdiger. Sie bedankte sich bei Falkner mit einem zaghaften Lächeln und ließ sich von ihm aufhelfen.
»Können Sie mir erzählen, was hier passiert ist, oder brauchen Sie noch ein paar Minuten …?« Falkner zog ein frisches Taschentuch aus der Innentasche seiner Jacke und reichte es ihr.
»Es geht schon, danke«, wehrte sie ab. »Ich habe das Schwein gesehen«, sagte sie ohne zu zögern.
»Wen haben sie gesehen?«
»Na, den Mörder. Ich habe sein Gesicht genau gesehen.« Sie schaute auf den Leichnam des alten Mannes und wurde vom Entsetzen überwältigt.
»Kennen Sie diesen Mann?« Falkner deutete auf die Leiche am Boden. »Ist das Herr Burgner?«
Sie hielt sich das Taschentuch an die Stirn und schaute ihn fragend an. Sie nickte stumm.
Falkner lieferte die Erklärung. »Seine Frau hat uns angerufen. Er sei noch nicht nach Hause gekommen. Wir wollten der Sache erst gar nicht nachgehen. Manchmal kommen Männer nicht gleich nach Hause, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Er ist immer sofort nach der Arbeit nach Hause gefahren. Und ich wollte ihn abholen.« Sie machte eine kleine Pause. »Er ist mein Onkel. War, meine ich.« Jetzt ließ sie ihren Tränen freien Lauf.
»Kommen Sie. Ich helfe Ihnen.« Falkner stützte die Verletzte und begleitete sie die Treppe hinunter. Dort übergab er sie der Obhut eines Arztes, der mit dem Rettungswagen gekommen war. Er drehte sich um und ging die Stufen des Museums hinauf. Zuvor gab er noch einige mürrische Anweisungen. Es wartete noch die unangenehme Aufgabe auf ihn, die Frau des Toten aufzusuchen und ihre schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen.
Nachdem die Tränen der alten Dame fürs Erste versiegt waren, begann Falkner mit seinen Ermittlungen. »Wann haben Sie Ihren Mann das letzte Mal gesehen, Frau Burgner?« Er nahm seinen Notizblock und schrieb mit.
»Er ist, wie gewohnt, gegen sieben Uhr dreißig aus dem Haus gegangen. Er war etwas griesgrämig an diesem Tag, aber das war nichts Außergewöhnliches. Mein Mann war fast fünfundsechzig Jahre alt und hatte einfach keine Lust mehr, tagein, tagaus seine Zeit im Museum zu verplempern. Wir hatten noch Pläne, wissen Sie …« Ein Weinkrampf unterbrach die Befragung.
Nach einer Pause hakte Falkner nach.»Ja? Was für Pläne?«
»Wir haben uns vor vier Wochen ein Wohnmobil gekauft und wollten endlich frei sein. Überall dort anhalten, wo es uns gefällt. Durch Frankreich und Spanien fahren – ohne Zeitdruck, einfach nur leben. Wissen Sie, was ich meine?«
Falkner hob den Kopf und sah eine lebendige Szene vor sich: Raus aus aller Alltäglichkeit, nicht gebunden sein an feste Zeiten, tun und lassen können, was man möchte, und an der Seite eine gute Frau, die die gleichen Interessen teilt. Ja, das konnte er sich gut vorstellen und nickte Frau Burgner zu. Er kramte in seiner Hosentasche nach seinem Taschentuch, doch er erinnerte sich, dass er es bereits vergeben hatte.
»Mein Mann war ein ganz Lieber. Ich kenne niemanden, der ihm etwas Böses gewünscht hätte.«
»Ich denke nicht, dass der Mord an ihrem Mann mit ihm persönlich zu tun hatte. Es war wohl eher die Verkettung unglücklicher Umstände.«
»Werden Sie den Mörder finden?« Frau Burgner wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht.
»Nun, wie gehen davon aus, dass es ein klassischer Raubmord war. Es hat den Anschein, als wollte Ihr Mann den Raub verhindern. Er nahm aber seine Waffe nicht zu Hilfe.
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