Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
Aus der ist nämlich keine Kugel abgefeuert worden. Er muss mit den Fäusten auf seinen Gegner losgegangen sein. Heldenhaft, zugegeben, aber unvernünftig.«
Frau Burgner begann erneut, heftig zu schluchzen. Falkner hasste es, die Angehörigen von Opfern benachrichtigen zu müssen. Er konnte damit nicht umzugehen und wusste nicht, wie er den trauernden Menschen Trost zusprechen sollte. Er wäre am liebsten geflohen.
»Ihre Nichte hat den Mörder vermutlich erkannt. Wie ich schon sagte, wird sie gerade im Krankenhaus behandelt. Es ist aber nichts Ernstes.« Falkner erhob sich von dem antiquierten Sessel, auf dem er zuvor Platz genommen hatte.»Ich lasse Sie jetzt erst einmal allein. Nach der Obduktion werden wir mehr wissen. Auf Wiedersehen, Frau Burgner. Rufen Sie mich bitte an, wenn Ihnen noch etwas einfallen sollte, das uns möglicherweise weiterhilft. Wir stehen in diesem Fall noch ganz am Anfang.«
Falkner verließ die Wohnung mit einem unguten Gefühl im Magen. Schon jetzt war ihm dieser Fall unsympathisch.
Drei Tage später hatte die Wiener Polizei noch keine nennenswerten Ergebnisse vorzuweisen. Es war stockdunkel draußen, und Falkner saß auf seinem klapprigen Bürostuhl. Er nahm sich zum wiederholten Male an diesem Tag den Ordner mit dem Fall »Burgner« vor. Nur für fünf Minuten allein sein. Einmal in Ruhe überlegen können , dachte er, doch sein Wunsch wurde nicht erfüllt. Es klopfte an der Tür, die direkt im Anschluss geöffnet wurde. Falkner blickte genervt von seinen Unterlagen auf und begrüßte müde seinen Mitarbeiter Alois Huber. Er ließ den Ordner auf den Schreibtisch klatschen und da kam ihm die rettende Idee. »N’ Abend, Alois. Sie kommen gerade recht. Ich habe einen neuen Fall für Sie.«
»Huber verzog das Gesicht. Derartige Überfälle seines Chefs waren im ganzen Präsidium bekannt und verhasst. »Ich wollte gerade nach Hause.«
»Fünf Minuten.«
»Das sagen Sie immer, und dann schlage ich mir die halbe Nacht um die Ohren.«
»Keine Sorge, heute nicht. Werfen Sie nur einen kleinen Blick drauf.« Falkner reichte Huber den Ordner über den Schreibtisch und begutachtete den erstklassigen Kleidungsstil seines besten Mitarbeiters. Huber trug eine Jeans, schwarze Socken und blank polierte schwarze Schuhe. Ein schwarzes T-Shirt mit einem V-Ausschnitt und ein graues Sakko, das er lässig über die Schulter geworfen hatte. Falkner blickte in das jugendlich wirkende Gesicht, das ein Dreitagebart zierte, und die auf exakt vier Millimeter gekürzten Haare, die ihm als Kranz geblieben waren und unscheinbar den Kopf umrahmten.
Falkner reichte Huber einige Bilder. »Diese Fotos haben wir vor drei Tagen im Museum gemacht. Armer Kerl. Hatte nicht mehr lange bis zur Pensionierung.«
Die Mitleidtour wirkte. Huber hängte die Jacke über eine Stuhllehne und zog den Ordner zu sich heran. Sein erster Blick fiel auf einen blutüberströmten Mann, der mit einer riesigen Stichwunde im Bauch am Boden lag. Auch das Foto einer hübschen jungen Frau war dabei. »Und? Wer ist das?«
Falkner lehnte sich entspannt zurück und verschränkte die Arme. So einfach geht das, einen Fall an Untergebene zu delegieren . »Raphaela Grassetti, die Nichte des Opfers.«
Huber schaute eine geraume Zeit auf das Foto von der Frau. »Sieht nicht übel aus.«
»Besser als nicht übel.« Falkner grinste verschmitzt. »Nehmen Sie den Ordner ruhig mit nach Hause. Sie müssen nicht damit hier bleiben.«
»Gut, dass es Leute gibt, die man treten kann«, erwiderte Huber. Sein Chef hatte es erneut geschafft, sich seine Gutmütigkeit zunutze zu machen. Er drehte sich um und ließ die Tür ins Schloss fallen.
Am nächsten Morgen erschien Huber später als gewohnt in seinem Büro. Er trug denselben Ordner im Arm und hatte unter den Augen Ringe, die groß wie Schwimmreifen wirkten.
Falkner war eine Stunde eher im Büro eingetroffen und hatte sich auf die neueste Meldung gestürzt. Als er Huber kommen sah, folgte er ihm sofort in dessen Büro. »Morgen Alois. Gut geschlafen?«
Huber bedachte seinen Chef mit einem Blick, der hätte töten können. »Schon gut. Regen Sie sich nicht auf, es gibt Neuigkeiten.«
Ein weiterer missbilligender Blick traf Falkner.
»Nicht unweit der deutschen Grenze bei Salzburg wurde von einem Förster eine männliche Leiche im Unterholz gefunden. Und wissen Sie was …«
Huber verdrehte die Augen.
»… es sieht so aus, als sei er auf dieselbe Weise umgekommen wie dieser Burgner.«
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