Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
stutzte.
»Inwiefern?«
»Hey, das schreiben doch alle Zeitungen von Flensburg bis Italien. Die Lanze, von der du erzählt hast, ist gestohlen und der Wachmann dabei getötet worden. Und dann war da noch ein zweiter Mann in der Zeitung, der auf dieselbe Weise ums Leben gekommen ist wie der Wachmann. Und soll ich dir was sagen?« Blome boxte Schneider vor die Brust und fing erneut an zu wanken. »Wenn mich nicht alles täuscht, war der Typ auf dem Foto Bukowski, der miese Hund. Oder etwa nicht? Korrigier mich ruhig, wenn ich Scheiße rede.«
»Ich habe damit nichts zu tun, Gerd, glaub mir. Bukowski war schon vor mir da, hat den Wachmann umgelegt und die Lanze geklaut – und irgendjemand muss sie dann Bukowski abgenommen und ihn getötet haben.«
»Hör zu, Richard. Ich bin zwar besoffen, aber nicht bescheuert. Du willst mir doch nicht im Ernst erzählen, dass du dir die Lanze von Bukowski hast wegschnappen lassen. Warum sollte ausgerechnet Bukowski die Lanze wollen?« Blome schnaubte verächtlich. Schneider zuckte mit den Achseln und versuchte so unbescholten wie möglich zu wirken.
»Du meinst, diese Typen von dieser Dings, diesem ›THE Lu‹ Club haben das Teil?«
»Gerd, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass wir alle hier ganz schön in der Scheiße stecken, und ich will nicht mit diesen Morden in Verbindung gebracht werden. Kann ich auf dich zählen?«
Blome plusterte die Wangen auf und blies Schneider erneut seine ranzige Alkoholfahne ins Gesicht. Er hielt seine Augen zur Hälfte geschlossen. »Wenn du noch Kohle hättest, würde ich dich jetzt fragen, was dabei für mich rausspringt, aber du bist ja jetzt selber ein armes Schwein. Selbst wenn ich dir den Quatsch mit Bukowski und dem Wachmann abkaufe würde - wichtig ist, dass die Bullen das auch tun. Sie werden hier sicher bald aufkreuzen oder bei dir zu Hause und sie werden dich nach deinem Alibi fragen.« Schneider wich angewidert zurück. Doch Blome rückte ihm erneut auf den Pelz, und als er dicht vor ihm stand, fragte er: »Und? Hast du eins?«
Schneider bemühte sich, unbekümmert zu wirken. »Klar hab ich eins. Ich war die ganze Zeit hier. Das wirst du doch bezeugen, Gerd? Das tust du doch für mich, oder?«
»Schon möglich, aber es sind dir ja nicht alle so wohl und loyal gesonnen wie ich. Manch einer von den Burschen hier würde dir nur zu gerne den Kopf abreißen. Schätze, das mit dem Alibi in der Firma kannst du vergessen. Da musst du dir schon was Besseres einfallen lassen. Außerdem ist es ja wohl leicht nachzuvollziehen, dass mit einem Mietwagen gefahren bist. Kreditkarte und so.«
Schneider grinste prahlerisch und vergaß für einen Augenblick seinen Vorsatz, die Geschichte für sich zu behalten. »Ich habe alles auf den Namen H. Himmler gebucht. Genial nicht?«
Blome verengte die Augen zu einem dünnen Schlitz. »Ich wusste ja schon immer, dass du ein bisschen verrückt bist, aber seit du diese Tagebücher gelesen hast, bist du komplett durchgeknallt.« Blome torkelte zu seinem Platz zurück und goss sich ein. In Anbetracht seines im Blut vorhandenen Alkoholgehaltes, würde er am nächsten Tag die Unterhaltung vergessen haben.
Schneider wusste zum ersten Mal in seinem Leben nicht, wie er das Ruder in dieser verfahrenen Situation herumreißen sollte. Später, nach einigen Stunden fruchtloser Versuche, die Bilanzen positiv zu interpretieren, verließ Schneider als Letzter die Firma. Zuvor setzte er Blome ins Taxi und beurlaubte die anderen Mitarbeiter auf unbestimmte Zeit. Er streifte noch eine Weile wie ein Tiger durch die Räume, schaltete diverse Rechner aus und verabschiedete sich von seinem Schreibtisch. Für eine kurze Zeit saß er noch in seinem mächtigen Ledersessel, legte in gewohnter Manier die Beine auf den Tisch und dachte nach.
Wieso war alles ganz anders gekommen, als er es sich erhofft und erträumt hatte? Bei ihm zu Hause lag die zweitwertvollste Reliquie aller Zeiten. Sie war sicher verwahrt und hatte sich so leicht stehlen lassen, als sei sie nicht mehr wert als eine billige Fälschung, die niemand anderes besitzen will. Überhaupt erschienen ihm rückblickend die Umstände des Raubes völlig irreal. Er hatte den Eindruck, als entfalte die Lanze ihre magische Kraft nicht in der Weise, wie er es erwartet hatte. Er und all die vielen Menschen vor ihm, die die Lanze um jeden Preis in ihren Besitz gebracht hatten, trachteten doch ebenso nach Macht, Ruhm und Geld. Herrschaftsansprüche waren erfolgreich geltend
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