Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
Umständen diesen alten Mann finden. Koste es, was es wolle.
Drei Tage verstrichen, am vierten Tag fand die Beerdigung seines Vaters statt. Richard zog einen schwarzen Anzug an und stand mit ein paar Bekannten seiner Familie, die er noch entfernt von früher kannte, vor dem Grab. Der Pastor predigte irgendetwas von Vergebung und ewiger Seligkeit und dergleichen. Schneider hörte ihm nicht zu. Seiner Meinung gab es nach dem Tod nichts mehr, sodass es sich auch nicht lohnte, darüber nachzudenken. Hier und jetzt gilt es zu leben, so gut es geht, das war seine Devise. Das Gerede über diesen Jesus und einen gerechten Gott konnte er nicht mehr hören. Jesus war tot, wie all die anderen ach so klugen Männer vor ihm und nach ihm und daran war nicht zu rütteln. Genau genommen verstand er nicht, warum religiöse Leute so viel Aufsehens wegen einer Lanze machten, die den Leib Jesu durchbohrt hatte. Schneider sah die Sache ganz anders: Für ihn war die Lanze verehrungswürdig, weil Jesus damit durchbohrt wurde, als er schon tot war. Seinem Tun und Treiben wurde damit symbolhaft ein Ende gesetzt. Sie besiegelte das Ende einer Ära von Gefühlsduselei, falschen Versprechungen und unerfüllter Hoffnungen. Was ihn an der Lanze interessierte, war die dunkle Komponente, die geheimnisvolle, mystische und unerforschte, die, die pure egoistische Macht verhieß.
Nach den üblichen Beileidsbekundungen der wenigen Anwesenden machte er sich auf den Rückweg nach Hause. Den Leichenschmaus ließ er ausfallen.
Jetzt, da sein Vater nicht mehr unter den Lebenden weilte, empfand Richard sich als Erbe des väterlichen Nachlasses – und dazu gehörten auch die Tagebücher. Somit war es nicht mehr nötig, irgendwen zu fragen, wie er mit diesen Büchern verfahren solle. Es oblag seiner persönlichen Willkür, seinem Gutdünken, und er wollte sie als etwas betrachten, was ihm Geld und Ansehen verschaffte. So kam ihm schließlich noch im Auto die verwegene Idee, die Tagebücher zum Kauf anzubieten. Denn sie waren echt. Nachdem seinerzeit der »Stern« mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern aufs Übelste reingefallen war, würde sich die Redaktion eher nicht mehr auf ein Geschäft dieser Art einlassen, eine Anfrage beim »Spiegel« würde vermutlich den gewünschten Erfolg bringen.
XVIII
Smith legte den Hörer behutsam auf und fand Mosche und Lea in erwartungsvoller Spannung vor. Er konnte nicht glauben, was sein Freund John Wagner ihm hatte erklären wollen. Er sah seine Freunde an und ließ sich auf einen Stuhl fallen.
»Du bist ja ganz blass, Harvey. Kann ich etwas für dich tun?«, fragte Lea besorgt. Smith antwortete nicht. Unerwartet brach er in ein Lachen aus und schien nicht mehr aufhören zu können. Es war kein fröhliches, sondern ein fast verzweifelt klingendes Lachen, Ausdruck innerer Zerrissenheit.
»Was ist denn passiert, um Himmels willen?«, erkundigte sich Mosche.
»Um Himmels willen? Ich weiß nicht, ob dies der Wille des Himmels ist.« Smith schüttelte den Kopf. Er stand abrupt auf und ging im Raum umher. »Also gut. Wagner war am Telefon und hat mir die Ergebnisse mitgeteilt.«
»Ja und?«, forderte Lea. Auch Mosche starrte den Professor an.
»Er sagt, wir müssen uns der Realität stellen.«
»Welcher Realität?«, flüsterte Mosche.
»Alle drei Toten - hört mir gut zu - stammen aus der Zeit 25 – 30 nach Christus. Auch der Tote Nr.3.«, Smith brüllte es den beiden fast zu. »Ja genau, der mit dem verkürzten Bein, den Keramikinlays, den Implantaten und der Stichwunde zwischen den Rippen. Alles an dem ist zweitausend Jahre alt, und zwar nicht nur die Knochen, sondern auch die Implantate, die es erst seit 20 Jahren gibt. Peng! Was sagt ihr jetzt?« Smith war nicht mehr Herr seiner selbst. Zum ersten Mal seit Lea ihn kannte, hatte er sich nicht mehr unter Kontrolle. Er schien die Fassung zu verlieren, weil er mit einer Tatsache konfrontiert wurde, die sich weder in sein wissenschaftliches, noch in sein religiöses Weltbild einpassen ließ.
»Wie hat dein Freund versucht, das zu erklären?«
»Gar nicht«, rief er und wirbelte mit der Hand in der Luft herum. »Er sagte es, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, dass der Tote aus der Zukunft stammt und definitiv 2000 Jahre alt ist.« Smith lümmelte sich wie ein trotziger Junge auf einem Stuhl und vergrub seinen Kopf zwischen den Händen. »Ich kann damit nicht umgehen, ich kann es einfach nicht und will es auch nicht. Die Ergebnisse kommen
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