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Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe

Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe

Titel: Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg S. Gustmann
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Reliquie.« Huber sah sie fragend an. Mit verklärtem Blick fuhr sie fort. »Die Lanze ist eine Art … Kraftquelle, Machtsymbol, Heilsbringer. Die Menschen verehrten sie als ein Instrument, das ihnen den göttlichen Segen verheißt, ewiges Leben und direkten Zugang zum Himmel, wenn sie sterben.«
    Huber hatte ihr aufmerksam zugehört. Spontan sagte er: »Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir uns duzen?«
    Raphaela machte ein amüsiertes Gesicht und schüttelte den Kopf. Sie reichte ihm die Hand. »Ich heiße Raphaela.
    »Okay, jetzt bitte nicht lachen. Ich heiße Alois.« Huber schlug in die Besiegelung ein. Sie lachte doch, und es war ihm peinlich. »Okay, nachdem wir das geklärt haben, fang bitte noch mal von vorn an.«
    Raphaela beugte sich vor und holte ein paar Unterlagen aus ihrer Aktentasche hervor. Sie legte zunächst Blätter mit Fotografien auf ihren Schoß und reichte sie ihm. Während er sich die Bilder ansah, begann sie zu erzählen. Ihre Augen glänzten vor Begeisterung. »Viele Jahrhunderte glaubten die Menschen, dass die Lanze jene Lanze sei, die der Hauptmann benutzt hatte, um festzustellen, ob Jesus wirklich verstorben war. Das steht so im Johannesevangelium. Die Menschen glaubten fest daran, dass das göttliche Blut Jesu an dieser Klinge entlang geflossen sei.«
    »Was hat diese goldene Manschette zu bedeuten?«, fragte Huber, während er das Bild betrachtete.
    »Warte, nicht so schnell.« Raphaela hob den Zeigefinger. Sie knöpfte den obersten Knopf ihrer Bluse auf. Vor lauter Eifer warm wurde ihr warm. Sie hatte endlich jemanden gefunden, dem sie in aller Ruhe von der Heiligen Lanze erzählen konnte. »Der Legende nach soll Helena, die Mutter von Kaiser Konstantin, 330 n. Chr. Golgatha in Jerusalem wiederentdeckt, einen Nagel vom Kreuz Christi und angeblich eine Lanze gefunden haben. Sie ließ daraufhin den Nagel in die Rüstung ihres Sohnes einarbeiten, um ihn unverwundbar zu machen. Danach beginnt eine längere Phase in der Geschichte, in der nichts über die Lanze berichtet wird. Sie scheint wie vom Erdboden verschwunden zu sein. Erst 961 findet sich ein ausführlicher schriftlicher Hinweis auf die Lanze, von Liutprand von Cremona, einem Geschichtsschreiber aus der Zeit Otto I.«
    Raphaela legte ein anderes Schriftstück zuoberst auf ihren Schoß und las einige Zeilen aus einem alten Dokument vor: »Hier schau. Er schreibt: ›Die Lanze war anders als die sonstigen Lanzen, nach Art und Gestalt etwas Neues, insofern als das Eisen beiderseits des Grates Öffnungen hat, und statt der kurzen seitwärts gerichteten Zweige erstrecken sich zwei sehr schöne Schneiden bis zum Abfall des Mittelgrates. Und auf dem Dorn, den ich vorher den Grat nannte, trug sie Kreuze aus den Nägeln, die durch die Hände und Füße unseres Herrn und Erlösers Jesu Christi geschlagen waren …‹«
    Sie legte die Seiten weg und holte ein geheftetes Manuskript hervor. Eifrig schlug sie es auf. »Aber eigentlich sind wir noch gar nicht soweit. Chronologisch gesehen tauchte eine ›Heilige Lanze‹ zuerst im Jahre 926 auf. Da kam sie auf dem Wormser Hoftag in den Besitz von Heinrich I., dem Ottonenkönig. Er forderte sie von König Rudolf von Burgund. Der Preis, den er bezahlte, war beträchtlich. Stell dir vor. Er tauschte die Lanze gegen den gesamten südwestlichen Teil seines Reiches und die Stadt Basel ein.«
    »Gegen eine einzige Lanze?«, fragte Huber ungläubig.
    »Wie gesagt, es ist ja nicht irgendeine Lanze, sondern ein Instrument, das unbesiegbar macht. Heinrich war fest davon überzeugt, dass es sich bei dieser Lanze um die Lanze Konstantins, um die wahre Lanze handelt.«
    »Und? War sie es?«
    »Mittlerweile gilt als sicher, dass die Lanze, die er in den Händen gehalten hatte und um die sich alle nachfolgenden Geschichten rankten, eine karolingische Schöpfung aus dem achten Jahrhundert ist.«
    Huber drückte einen Knopf in seiner Lehne und bewegte die Rückenlehne ein Stück nach hinten. Er schloss die Augen.
    »Du willst doch jetzt nicht schlafen?«, fragte Raphaela ihn entgeistert.
    »Keine Sorge, ich höre dir zu. So kann ich mich besser konzentrieren.«
    »Okay. Also: Die Lanze, die aus dem Museum in Wien gestohlen wurde, ist eine klassische Flügellanze mit einer bestimmten Schmiedetechnik, die es um die Zeit Jesu noch nicht gab. Ob diese Waffe die echte Lanze des Longinus war oder nicht, war zweitrangig geworden. Im Grunde ist die Sache ganz einfach: Man behauptet, sie sei es – und schon ist sie es;

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