Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
heutigen Tag der Makel der damaligen Vorwürfe anhaftet. Eugenio Pacelli hat mehrfach versucht, gegen den Völkermord zu intervenieren und war am Schluss davon überzeugt, dass es das Beste wäre, die Nationalsozialisten nicht noch mehr zu reizen. In den Niederlanden hatte der Protest 1942 die Deutschen nämlich veranlasst, mehr Menschen als ursprünglich vorgesehen zu deportieren.«
Huber ließ sich von Gambrionis Versuchen, das Ansehen der Kirche zu retten, nicht einschüchtern. Eine neue Wut stieg in ihm auf. »Ja ja, ich weiß schon: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Schon klar. Viele andere hohe Amtsträger haben aber nicht geschwiegen und damit viel mehr bewirkt. Die Dänen zum Beispiel haben die Ausrottung der Juden vereitelt. Und …? Ist ihnen etwas passiert?« Huber sah Gambrioni mit starrem Blick an. Der Kardinal wusste, dass Huber recht hatte und blickte zu Boden.
»Nein! Ihnen ist nichts passiert!«, betonte Huber. »Auch die bulgarische, die französische, die norwegische und die griechische Kirche sind für die Juden eingetreten, und es gab keine Vergeltungsmaßnahmen.« Huber machte eine ausladende Bewegung mit beiden Armen. »Sie alle haben öffentlich gegen die Ausrottungsmaßnahmen der Nazis protestiert und sehr viel Erfolg gehabt. Doch Pius, der Superfromme …« Huber lachte auf, »… war schlichtweg zu feige. Er hatte nicht genug Mumm, zu wenig Courage. Ein Mann in seiner Position hätte sehr viele Menschen retten können, selbst wenn er dabei draufgegangen wäre, so wie Bonhoeffer und viele andere, die ihren Mund nicht gehalten haben.«
XXIII
Nach einem schier endlosen Flug landete die Maschine. Schneiders Beine schmerzten, doch am meisten plagte ihn sein rechter Fuß. Wenn er nicht genug bewegt wurde, verkrampfte sich die Muskulatur und verursachte starke Schmerzen an den verkürzten Sehnen. Er vollzog eigenartig wirkende, gymnastische Übungen mit dem Fuß, drehte ihn hinter dem Sitz seines Vordermannes in der Luft herum und versuchte, Blut in die beinahe abgestorbenen Gliedmaßen zu pumpen.
Die Passagiere wurden angehalten, so lange sitzen zu bleiben, bis das Flugzeug vollständig zum Stehen gekommen sei. Von da an ließ Schneider den engagierten Reporter nicht mehr aus den Augen. Er versuchte, gelassen zu wirken, doch seine Sinne waren aufs Äußerste geschärft. Gegen Ende des Fluges hatte er das Gespräch mit Schulz wieder aufgenommen und eine fadenscheinige, freundschaftliche Beziehung geknüpft. Hatte mit ihm über Belangloses gescherzt und sich von seiner unterhaltsamen Seite gezeigt. Er wollte Vertrauen aufbauen, ein Vertrauen, das er sich zuvor durch seine unpassenden Bemerkungen über Zeitreiseversuche an Menschen verspielt hatte.
Gemeinsam gingen die beiden Männer durch die Halle zum Gepäckband und warteten. Ihre Koffer lagen verhältnismäßig dicht beieinander. Wieder eine sonderbare Fügung des Schicksals , fand Schneider. Dieser Umstand begünstigte, dass sie zusammen den Flughafen verlassen könnten.
Bevor sie den Ausgang erreichten, blieb Schulz stehen und sagte: »Ich glaube, ich muss noch mal schnell verschwinden. Ich wünsche Ihnen alles Gute.« Er reichte ihm die Hand zum Abschied.
Schneider ergriff sie nicht. »Sie haben recht. Das war ein bisschen zu viel Champagner und Mineralwasser. Ich komme mit.«
Gemeinsam gingen sie in Richtung der Herrentoilette. Die meisten Passagiere hatten ihre Koffer in Empfang genommen und befanden sich auf dem Weg zu einem Taxi-Stand oder wurden von Verwandten in Empfang genommen, liebevoll umarmt und geküsst. Auf Schneider und Schulz wartete niemand. Sie betraten die Herrentoilette, und Schulz war nicht wohl bei dem Gedanken, neben diesem schleimig-freundlichen Mann pinkeln zu müssen.
In diesem Augenblick verließ ein Fluggast die Toilette, und Schneider beschloss, schnell zu handeln. Er zog den Reißverschluss seiner Hose hoch, sah sich nach einer offenen Klotür um und zerrte den zehn Jahre jüngeren Schulz mit einer fast übermenschlichen Kraft und Schnelligkeit in die Kabine. Ohne dass dieser den Hauch einer Chance gehabt hätte, packte ihn Schneider von hinten am Genick. Er schlug den Schädel des Reporters mehrmals hintereinander mit solch einer Wucht gegen die mit Graffiti beschmierten, ehemals weißen Fliesen, dass man das Bersten der frontalen Schädelknochen in der gesamten Herrentoilette hören konnte. Der Reporter war auf der Stelle tot und rutschte auf den mit Urin besprenkelten Boden.
Zügig zog
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