Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
kein Trinkgeld gegeben hatte. Niemand in dem Hotel wurde auf Schneider aufmerksam. Das erste Haus am Platz war ohnehin ausgebucht. Zahlreiche Teilnehmer eines Ärztekongresses sowie eine Schar sensationshungriger Reporter und Korrespondenten ließen ihn als einen unscheinbaren Hotelgast durchschlüpfen. Die Hotelrechnung bezahlte er bei einer anderen Rezeptionistin mit seiner Kreditkarte und gab sich als Kollegen von Schulz aus, der dessen Zimmerrechnung übernehme. Dem Hotel war es egal, wer die Kosten beglich. Hauptsache, es wurde überhaupt bezahlt.
Schneider legte sich aufs Bett und starrte an die Decke. Seine Lippen verzogen sich zu einem fiesen Grinsen. Er ging davon aus, dass die Leiche dieses armen Teufels inzwischen gefunden worden war. Der Mann, der dort zusammengekauert auf der Toilette saß, ein Dr. Richard Schneider aus Deutschland, würde mit zermatschtem Gesicht nicht wiederzuerkennen sein. Fragmente frakturierter Stirnknochen stülpten sich in sein Hirn hinein und das Nasenbein war gebrochen und hing als ehemaliges Riechorgan inmitten eines nicht zu identifizieren Gesichts. Ein Blick auf den Ausweis würde den Polizeibeamten genügen. Recherchen würden ergeben, dass ihnen ein dicker Fisch ins Netz gesprungen sei. Ein gesuchte Mörder und Dieb, der seinerseits erhalten hat, was er verdient hatte. Schneider räkelte sich auf der feinen Damast-Überdecke des Bettes. Früh am Morgen würde er quicklebendig aus der Tür des Hotels herausmarschieren und verschwinden. Niemand ahnte, dass er derjenige auf dem lächerlichen Phantombild war und dass ihn die deutschen Behörden in den USA verfolgten.
In dieser Nacht machte Schneider dennoch kein Auge zu. Er wälzte sich umher, während die Lichter amerikanischer Schlitten durch die Ritzen der Jalousie fielen. Obwohl seine Skrupellosigkeit ein Ausmaß angenommen hatte, das ihm fremd war, erregte ihn das vor ihm liegende Ereignis. Er malte sich aus, wie es sein würde, als erster Mensch in der Zeit zurückzureisen. Das war sein Plan: Er würde die Lanze aus der Vergangenheit in die Gegenwart holen. Die Echte, diejenige, die das Blut Jesu gekostet hatte. Ja, er würde berühmt werden und mit der Macht der Lanze mühelos einen Weg finden, sich den Behörden zu entziehen.
Er dachte keinen Moment daran, dass die Forschungen noch nicht genug fortgeschritten waren, dass er keinen Zutritt zu der Zeitmaschine erhalten würde oder er bei einem solchen Experiment den Tod finden könnte. In seiner unglaublichen Machtbesessenheit und Arroganz glaubte er an ein unbedingtes Gelingen seiner Mission.
***
Der Purpurträger, der in der Öffentlichkeit den Vatikan vertrat, fand in dieser ungewöhnlichen Konfrontation mit Huber seine Sprache nur schwer wieder. »Der Heilige Stuhl hat kein Interesse daran, dass die alten Geschichten aufs Neue aufgewärmt werden.«
Huber war unnachgiebig. Er hatte den hübschen purpurnen Fisch an der Angel und war nicht gewillt, ihn wieder zu entlassen.»Schon klar, dass Sie das nicht möchten. Aber es wird Zeit, dass die katholische Kirche zu ihren Fehlern steht. Fakt ist, dass der Papst den Gräueltaten der Nazis tatenlos zugesehen hat. Den Titel ›Der Papst, der geschwiegen hat‹ wird er nie loswerden. Man kann ja geteilter Meinung darüber sein, wie man sich als Normalsterblicher einer Übermacht von fanatischen Idioten in den Weg stellt, aber als sogenannter ›Hirte‹ der größten Konfession der Welt wäre es seine Pflicht gewesen, dem Treiben der Nazis ein Ende zu bereiten, selbst wenn es ihn seinen Kopf gekostet hätte. Er war schließlich der Papst.« Huber setzte sich auf seinen Platz und beschloss eine Weile zu schweigen. Seine Finger zitterten. Er hatte gesagt, was gesagt werden musste. Unverhofft hatte er an diesem Tag die Gelegenheit bekommen, der jahrelang in ihm gärenden Verbitterung Ausdruck zu verleihen. Ihm war egal, dass er damit aus der Rolle fiel. Die in ihm wohnenden Anschuldigungen gärten schon zu lange. Er war froh, sie endlich gegenüber einem Stellvertreter der katholischen Kirche ausgesprochen zu haben.
Raphaela verengte die Augen zu einem dünnen Schlitz. Sie dachte nach. Ihre Zurückhaltung war durch den Disput gewichen, und sie war wieder im Besitz ihrer sympathischen Schnodderigkeit. »Ich erinnere mich an den Artikel über das Verhältnis von Papst und Faschismus, den Sie erwähnt haben. Ich hatte ihn nur überflogen, weil ich in Eile war, aber meines Wissens wurde dort auch ein gewisser Pater
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