Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
Schneider die beiden kleinen Koffer zu sich in die enge Kabine. Er musste auf der Hut sein, falls jemand zur Tür hereinkam, um sich zu erleichtern. Er durchsuchte die Innentaschen der Jacke des Toten und fand, wie erhofft, den Presseausweis, den Personalausweis, einen Reisepass, eine Hotelreservierung sowie dreihundert Dollar. Er entschied, die ganze Brieftasche mitzunehmen und nichts zurückzulassen, was den Toten als Hartmut Schulz ausweisen könnte. Stattdessen platzierte er seinen eigenen Personalausweis in dessen Jackeninnentasche. Schneider wunderte sich über seine eigene Skrupellosigkeit. Mit jedem Mord wurde es leichter, auf eine ihm bislang unbekannte Weise sogar erregender, zu töten.
Vorsichtig hob er den leblosen Körper auf und setzte ihn auf den Toilettendeckel. Er achtete peinlichst genau darauf, seine Arme zu strecken, dass kein Blut an sein Hemd oder seinen Anzug kam. An den Spülkasten angelehnt, blieb Schulz aufrecht sitzen. Die Füße platzierte Schneider der notdurftspezifischen Situation angepasst, sodass niemand, der unter der Tür durchschaute, Verdacht hegte. Er öffnete die Kabinentür, schaute sich nach allen Seiten hin um und stellte seinen eigenen Koffer vor die Toilettentür. Zurück in der Kabine, schloss er die Tür von innen ab und kletterte behände, wie ein Zwanzigjähriger, an Schulz vorbei auf den Spülkasten. Geschickt hangelte er sich über die Seitenwand zur Nachbartoilette, trat heraus, schnappte sich seinen Koffer und verschwand. Auf diese Weise würde es eine ganze Weile dauern, bis man den Toten finden würde – spät am Abend, wenn die Putzkolonne kam.
Schneider steckte sich den Presseausweis ans Revers und verließ den Flughafen. Nun war er Hartmut Schulz, ein bisschen älter, doch das Bild stammte aus vergangenen Tagen, als er noch keine Brille brauchte. Zufrieden verließ er das Flughafengebäude und winkte ein Taxi heran. Fünfzehn Minuten später checkte er im Hilton Hotel in der Innenstadt Chicagos ein.
»Good morning, Mr. Schulz. Nice to meet you. Hatten Sie einen angenehmen Flug?« »Oh ja, danke. Alles bestens.«
»Wenn Sie sich bitte hier eintragen möchten.« Die nette Rezeptionistin legte Schneider, alias Hartmut Schulz, das Hotelbuch vor, in dem er seine vollständige Adresse angeben musste.
Richard lachte verlegen. »Ich bin vor zwei Tagen umgezogen und hätte fast meine alte Adresse eingetragen.« Er zog seinen Pass hervor, schlug ihn auf und las die Adresse ab.
Die junge Frau wunderte sich nicht. Zerstreute Leute begegneten ihr täglich. »Vielen Dank. Hier sind Ihre Zimmerschlüssel.« Ich soll Sie von Ihrem Chef, Mr. Marxkors, grüßen: Er kann heute Abend nicht zu dem Meeting kommen und ist froh, dass wenigstens Sie seine Zeitung würdig vertreten.«
Schneider tippte mit dem Finger auf der edlen Holzfläche herum. »Er kann nicht kommen? Na, wie schade«, sagte er. »Wo wird denn das Meeting stattfinden?«
Die Dame in dem hübschen Kostüm lehnte sich über die Rezeption und zeigte mit ihren rotlackierten Fingernägeln in Richtung der Konferenzräume. »Dort drüben. Gegen zwanzig Uhr.«
»Wissen Sie, ich mag diese Meetings nicht«, sagte Schneider und gab seinem Gesicht einen gestressten Ausdruck. »Zu viele Leute. Ich kann nicht gut in engen Räumen mit vielen Menschen sein.«
»Oh das kenne ich. Ich muss Treppen laufen, weil ich Fahrstühle hasse«, entgegnete sie teilnahmsvoll.
»Sagen Sie, wissen Sie zufällig … ich habe ja gehofft, dass mein Chef kommen würde … nun, er hat mich noch gar nicht über den Zweck des Meetings aufgeklärt. Wissen Sie vielleicht Näheres darüber.« Schneider lachte. »Das ist mir jetzt aber peinlich.«
»Tut mir leid, Mr. Schulz, aber ich habe von Astrophysik absolut keine Ahnung. Es reicht mir zu wissen, wie meine Kaffeemaschine funktioniert. Aber warten Sie, ich schau mal nach, ob etwas für Sie hinterlegt wurde.« Die Rezeptionistin drehte sich zu einer großen Wand aus Mahagoniholz um, die aus Hunderten kleiner Ablagen für Briefe und Schlüssel und Ähnliches bestand, und nahm einen weißen Umschlag aus dem Fach des Zimmers 343. »Ja, hier liegt eine Nachricht für Sie. Bestimmt von Ihrem Chef. Vielleicht erfahren Sie hierin alles, was Sie wissen müssen.«
Schneider nahm den Brief entgegen und tat erleichtert. »Vielen Dank, das wird mir weiterhelfen.« Er ging zu einem Fahrstuhl und stieg ein. Die junge Dame sah ihm nach und wunderte sich, dass sich die Klaustrophobie dieses Mannes nur auf
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