Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
»Es ist fünf Uhr. Die Geschäfte haben soeben wieder geöffnet. Du hast also jetzt noch die Möglichkeit, dir von mir Rom zeigen zu lassen, zumindest das, was man in zwei bis drei Stunden schaffen kann. Ein Zimmer zu bekommen dürfte allerdings nicht ganz einfach werden. Die Stadt ist wegen der Feierlichkeiten zu Ehren des neuen Papstes wahrscheinlich komplett ausgebucht«, erwiderte sie.
»Gut, dass du italienisch sprichst. Ich wäre hier total aufgeschmissen.«
Raphaela kramte ihr Handy hervor. »Ich habe da eine Idee. Vielleicht klappt es ja.« Sie wählte mit flinken Fingern eine Nummer und palaverte die darauffolgenden zehn Minuten mit verschiedenen Leuten. Huber vermutete, dass sie sich mit Hotels, die sie von früher kannte, verbinden ließ. Sie drückte die rote Taste und grinste Huber an. »Bingo. Ich schätze, wir sind fündig geworden.«
»Was heißt, ich schätze? Hast du was gefunden oder nicht?« Raphaela wehrte gestikulierend ab. »Na sagen wir mal, mit ziemlicher Sicherheit. Es ist das Hotel Fontana in der Innenstadt und man hat einen traumhaften Blick auf den Trevi-Brunnen.« Huber sah sie mit einem ausdruckslosen Blick an, der jeden Rombegeisterten zur Raserei bringen würde.
»Ach, komm einfach mit mir mit und entspann dich. Es ist nicht weit. Vielleicht zwei Kilometer.« Huber und Raphaela zogen ihre Trollis hinter sich her.
»Wenn ich den ganzen Weg den Koffer schleppen müsste … Gut, dass die jetzt Rollen drunter haben.«
Raphaela blickte den kräftig gebauten Mann an ihrer Seite an und schüttelte den Kopf. Warum Männer immer nur jammern müssen , dachte sie. Die junge Frau grinste und hakte sich bei Alois ein. Zunächst gingen sie eine Weile schweigsam durch die Straßen Roms. Neben all den anderen Geräuschen, die die Ewige Stadt produzierte, war nur das Rollen ihrer Koffer zu hören. Beide mussten den Disput mit dem Kardinal verdauen. Sie marschierten die Via Conciliazione entlang, die vom Vatikan geradewegs in Richtung Tiber führte, der die Stadt wie eine sich windende Schlange durchstreifte. Sie überquerten die Ponte V. Emanuelle und gelangten über die Via del Coronari zur Piazza Navona. Huber hatte Mühe, mit Raphaela Schritt zu halten.
Er dachte daran, wie dieser verworrene Fall zu lösen sei. Normalerweise verfolgte er stets dieselbe Strategie: alle Personen befragen, die mit dem Umfeld des Verbrechens zu tun haben, dann die möglichen Motive nach ihrer Dringlichkeit abwägen und schließlich die Leute, die sich im engeren Kreis der Verdächtigen befinden, eine Zeit lang observieren. Irgendwann machte jeder Täter einen Fehler.
Doch diesmal …? Diesmal lief alles anders, und er kam sich vor wie ein blutiger Anfänger. Er stocherte in einer milchigen Brühe religiöser oder obskurer Motive herum und konnte sich keinen Reim auf die Zusammenhänge machen. Der Täterkreis war noch zu groß. Er war daher nicht undankbar, dass er eine Zeit lang seinen Gedanken nachhängen konnte: einfach nur zu laufen, obwohl die atemberaubenden Kulissen ihn vorwurfsvoll anstarrten und seinen Blick auf ihre Fassaden lenken wollten. Und das gelang ihnen auch, denn schließlich war da noch Raphaela. Sie blieb mitten auf der Piazza Navona stehen und wartete auf ihn. Belustigt sah sie ihn, wie er gedankenverloren angeschlurft kam. Eigentlich mochte sie ihn, als Mann war er genau ihr Typ, doch als Mensch …
»Bist du wieder aufnahmefähig für eine Portion Kultur? Vielleicht können wir ja mal für ein paar Minuten den Fall vergessen.«
Huber betrachtete ihre strahlenden Augen und hatte den Verdacht, sie würde nie müde werden. Er nickte stumm. Während er seinen Blick über den Platz schweifen ließ, zählte er gleich drei, vermutlich barocke Brunnen. Als hätte Raphaela seine Gedanken erraten, sagte sie: »Früher habe ich diese Piazza den Touristen als Springbrunnenplatz erklärt. Dort in der Mitte ist der Vierströmebrunnen. Auch von Bernini entworfen.«
»Klar ein Obelisk. Die hatten es ihm wohl ziemlich angetan.«
»Der Brunnen repräsentiert vier Flüsse: die Donau für Europa, den Ganges für Asien, den Nil für Afrika und den Rio de la Plata für Amerika.«
Wieder staunte Huber über Raphaelas fundierte Kenntnisse und setzte seinen Trolli ab. Er stellte sich auf einen längeren Vortrag ein, sie zeigte bereits in eine andere Richtung. »Dies dort drüben ist der Fontana del Moro. Wie der Name schon sagt, stellt er den Kampf zwischen einem Mohren und einem Delfin dar. Der dritte
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