Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
öffentlich als größenwahnsinniger und selbstverliebter Egomane bezeichnet wurde, obwohl er meinte, dass Hitlers Kriegspolitik mittlerweile auf eine solch pathologische Gesinnung schließen lasse. Nur unter vorgehaltener Hand oder in den Reihen der Widerstandskämpfer werde Hitler als Staatsfeind betrachtet, dessen Tod einen Gewinn bedeute, der schnell herbeizuführen sei.
Traunstein bringt mich in eine verzwickte Lage. Er ist mein ehemaliger Vorgesetzter und mein väterlicher Freund. Und doch scheinen unsere Wege sich nicht vereinen zu lassen. Ich habe ihm noch einmal gesagt, dass ich im Moment Berlin nicht verlassen könne.
Wenn ich an meine letzte Unterredung mit Himmler zurückdenke, werde ich den Eindruck nicht los, dass der Führer für viele und natürlich auch für Himmler nicht nur ein brillanter Politiker, sondern eine großartige Lichtgestalt ist, die das demoralisierte deutsche Volk nach der Niederlage des Ersten Weltkrieg wieder zum Sieg führen wird. Für Himmler ist der Führer sogar die Reinkarnation eines germanischen Gottes, dem vom Karma vorherbestimmt sei, den Kampf gegen den Osten zu führen und zu gewinnen.
Ich möchte immer öfter in der Nähe Himmlers sein, um mich in die Mysterien des Grals einweihen zu lassen. Es scheint allerdings, dass ich dadurch die Unbeschwertheit meines früheren Lebens verloren und, wie ich fürchte, auch die Zuneigung Gudruns endgültig eingebüßt habe. Es ist schon eigenartig, was hier mit mir geschieht. In der Gegenwart von Gudrun und ihrem Vater habe ich den Führer und den Reichsführer SS derart vehement verteidigt, als hätte ich keinerlei journalistisches Unterscheidungsvermögen mehr. In früheren Jahren war ich stets um Neutralität bemüht, doch nun scheint es, als hätte ich mich in eine Richtung bewegt, die ich damals gefürchtet habe.
Die entscheidende Frage für mich ist nun: Bin ich freiwillig auf dieser Seite oder wurde ich dorthin manipuliert? Bin ich tatsächlich bereit, die Liebe meines Lebens für eine Ideologie zu opfern oder geht es mir in erster Linie um die verheißene Macht des Grals und der Lanze? Habe ich meinen Glauben an Gott unbemerkt gegen den Glauben an einen Führer eingetauscht? Bin ich gar schon im Vorhof der Hölle, ohne es zu merken?
Nein! Ich glaube, dass Traunstein den Teufel an die Wand malt, und hoffe sehr, dass der Weg, der vor mir liegt, der mir verheißene ist: ein Weg zu Ruhm und Reichtum, an dessen Ende viele Gudruns auf mich warten werden.
13.Aug. 1940
Heute wieder neue Luftangriffe auf England, die in erster Linie gegen Rüstungsbetriebe und Nachschubeinrichtungen gerichtet waren. Dass zivile Objekte beschossen wurden, muss dementiert werden.
Erstaunlich, wie sich das Blatt in meinem Leben gewendet hat. Die Mitarbeiter in der Redaktion hier in Berlin sind alle sehr nett und dem Führer treu ergeben. Da gibt es niemanden mehr, der Zweifel an der Führung anmelden würde, zumindest nicht öffentlich. Natürlich – alle leiden mehr oder weniger an der Knappheit der Dinge, die früher selbstverständlich waren. Ich ja auch. Wie gern würde ich mal wieder einen guten Rotwein trinken.
War heute wieder in Himmlers Villa. Ich weiß nicht mehr, was mich damals so erschrocken hat. Er meint es doch nur gut mit mir. Ich lese Zeilen von mir in diesem Tagebuch über einen dunklen Nebel, der sich in Himmlers Seele eingenistet haben soll, und ich muss mich über mich selbst wundern. Nun gut, natürlich ist es ein wenig sonderlich, Tische und Stühle aus Gebeinen zu fertigen, doch andere würden so etwas als Kunst bezeichnen, und ich denke, ich schließe mich ihnen an.
Fr. Potthast hat mich überaus herzlich begrüßt, und mir ist nun endgültig klar, dass Himmler und Hedwig, die er liebevoll »Hedi« nennt, ein Verhältnis miteinander haben. Nun, warum nicht? Wir leben in einer neuen Zeit. Sie trägt auffallend weite Kleider, und ich vermute, dass sie sogar ein Kind von Heinrich unter ihrem Herzen trägt.
Ich habe mich erneut dem Studium von Himmlers Tagebüchern gewidmet und heute Nachmittag das vierundzwanzigste Lebensjahr Himmlers beendet. Wenn ich mir Himmler heute anschaue, dann begegne ich einem vollständig anderen Menschen, als jenem, der sich in den Tagebüchern findet. Der heutige Heinrich ist entschlossener denn je, hat klare Ziele gefunden und die Wirrungen der Jugend hinter sich gelassen. Wenn man so will, hat er im Großdeutschen Reich Karriere gemacht, wobei mir noch nicht deutlich ist, wodurch ihm dieser
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